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Debatte de luxe-Workshop Das Recht auf Stadt und die migrantischen Communities in Hamburg

Aus Recht auf Stadt, Plattform fuer stadtpolitisch Aktive

Sonntag, 21.10.2012, 14:00 - 16:00, Centro Sociale

„Recht auf Stadt. Right to the City. Droit a la ville. Şehir Herkezin“ stand auf den Fahnen, die wir 2009 an das besetzte Frappant-Gebäude in der Großen Bergstraße hingen. Wir wollten es als Haus für alle erobern und verhindern, dass Ikea in den Stadtteil kommt. Unter uns waren auch Leute mit Migrationshintergrund, wie man so sagt. Aber die vielen von der Gentrifizierung bedrohten Leute aus der türkischen Community im Stadtteil? Von denen hat uns dort keiner besucht.

Als wir im Sommer 2011 in Hamburg den internationalen „Recht auf Stadt“-Kongress gemacht haben, fragte ein Aktivist aus Caracas: „Was ist mit den Migranten in Hamburg? Wieso sehe ich hier keinen von denen?“ Ja, wieso eigentlich? Am Hansaplatz in St. Georg, auf dem Esso Häuser-Areal in St. Pauli, in den Gagfah-Bruchbuden in Wilhelmsburg: Natürlich sind migrantische Leute in Mieter_innenkämpfe, in den Auseinandersetzungen um den öffentlichen Raum involviert – und manch eine oder einer engagiert sich auch in Initiativen aus dem Netzwerk Recht auf Stadt.

Aber die Frage brennt trotzdem unter den Nägeln: Warum sind eigentlich so wenige von denen in der Antigentrifizierungsbewegung, denen qua Rassismus in Behörden, Wohnungsgesellschaften oder im Namen der "Aufwertung" von Vierteln und Plätzen das Recht auf Stadt noch ganz anders abgesprochen wird als denen, die bloß nicht genug Geld haben? Und was können wir machen, um das zu ändern?

Offene Debatte mit Monica Orjeda (verikom), Mehmet Yildiz (Die Linke, DIDF/Förderation Demokratischer Arbeitervereine), Vassilis Tsianos (Uni HH, Institut für Soziologie), moderiert von Christoph Twickel (Journalist/Not in our name, Marke Hamburg/Lux & Konsorten)

Ergebnisse

Workshop migrantische communities.jpg


Kommentare, Gedanken, Vorschläge

Positionspapier zur Diskussionsrunde „Das Recht auf Stadt und die migrantischen Communities in Hamburg“

Im Einleitungstext zu der offenen Debatte zum Thema „Das Recht auf Stadt und die migrantischen Communities in Hamburg“ wird die Frage gestellt: „Warum sind eigentlich so wenige von denen in der Antigentrifizierungsbewegung[...]?“ Oder an anderer Stelle heißt es „Von denen hat uns dort keiner besucht.“ Das „dort“ bezieht sich auf ein Beispiel der vielen Aktionen des Widerstandes gegen die Stadtentwicklungspolitik. Und mit „denen“ sind Mitglieder der migrantischen Communities gemeint, die bei den eigenen Aktionen des Recht auf Stadt-Netzwerkes nicht, oder unzureichend mitmachen. Es entsteht eine Trennung zwischen „die“ und „wir“ - „die“ sind außen vor, „wir“ sind mitten drin - in einem weißen Netzwerk, das doch für und von allen gemeinsam ein Recht-auf-Stadt-Netzwerk sein könnte.

Durch die vielen Wortbeiträge von Aktivist_innen, die nicht aus einer weißen, privilegierten Position gesprochen haben, führte der Diskurs zu viel entscheidenderen Problematiken der Recht-auf-Stadt-Bewegung: Wieso drehe mensch die Frage nicht mal um, warum ist der Recht-auf-Stadt-Aktivismus nicht nah bei den vielen Kämpfen der migrantischen Bevölkerung, die es bereits gibt. Sie sind schon immer Teil des Lebens der Menschen, die in der ersten, zweiten oder dritten Generation von Einwander_innen in Deutschland wohnen. Diese Kämpfe werden sowieso geführt, ob mit solidarischer Unterstützung der ganzen - übrigen - Gesellschaft, oder ohne. Wer also eine gemeinsame Bewegung anstrebt, kann nicht die Bedeutung von Rassismus in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation ausser Acht lassen. Es ist schön, dass sich das Netzwerk explizit als offen versteht und dies kommuniziert. Doch es gibt implizite, strukturelle Hürden, die subtiler wirken und nicht durch ein offenes Willkommen verschwinden. „Reden wir davon, dass MigrantInnen der Zugang zu Bildung, Wohnraum und Arbeitsplätzen, in öffentliche Institutionen und Ämter ebenso wie in Clubs und Fußballvereine systematisch erschwert wird.“ (siehe: http://demokratie-statt-integration.kritnet.org/; Stand: 23.10.2012) Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es genauso Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die strukturell von den Verhältnissen profitieren. Das für einen gelungen Protest so wichtige „Netzwerken“ und die Gelegenheiten, die sich daraus ergeben, sind oft unmittelbar abhängig von der Positionierung der beteiligten Personen. Wenn ich leichten Zugang zu Ressourcen habe, kann ich meine Forderungen und Rechte auch leichter vermitteln und durchsetzen.

Wenn wir also als Recht-auf-Stadt-Bewegung den Fluchtpunkt am gemeinsamen Kampf für ein gutes Leben für Alle ansetzen, so müssen wir die realen Machtdifferenzen innerhalb der Gesellschaft sichtbar machen. Oft sind Menschen neben Rassismus auch von anderen Unterdrückungsmechanismen negativ betroffen, wie Klassismus, Sexismus, Homophobie. Das Defizit des Recht-auf-Stadt-Netzwerkes, lediglich die weiße Mehrheitsgesellschaft zu repräsentieren, findet sich in den meisten gesellschaftlichen Zusammenhängen, oft in noch gravierender Weise. Das Thema „Wohnen“ und der Wunsch nach einem bezahlbaren, sicheren und guten Zuhause betrifft fast alle Altersgruppen. Sind so viele Menschen betroffen aber diese nicht repräsentiert.

Lasst uns die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen, ohne dabei die gesellschaftlichen Strukturen zu vergessen. In einer Stadt, in der so viele Menschen auf engen Raum zusammenleben, steckt viel Potenzial für einen gemeinsamen Umbruch der Verhältnisse. Wenn mehr Menschen am gleichen Strang ziehen, können größere Hürden genommen werden. Daher ist nicht die Frage, wie eine Bewegung in der Stadt mehr Menschen in die eigenen Aktionen integriert, sondern wie eine offene Bewegung entstehen kann, die auf alle Menschen eingeht und versucht ihrer Vielfältigkeit einen Wert zu geben und sie zu nutzen. Die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen sollten dabei unter Berücksichtigung der Schwere der prekären Lage und der sozialen Stellung der sich äußernden Person betrachtet werden. Eine authentische und solidarische Politik bedeutet dann genau so, die eigenen Privilegien zu erkennen und sie bewusster einzusetzen. Bisherige Arbeitsmuster haben sich als (mehr oder weniger) erfolgreich bewiesen; für ein beidseitiges, gemeinsames Engagement müssen jedoch neue Muster gemeinsam entwickelt werden, sonst identifizieren sich nicht alle gleichermaßen mit ihnen.

Es ist einfach zu weiter zu machen wie bisher und es ist schwer etwas neues Gemeinsames aufzubauen. Es kostet uns Mut, Mühe und vermehrte Aufmerksamkeit die bewährten Pfaden zu verlassen, um einen Lernprozess von beiden Seiten zu beginnen. Lasst uns aufhören die Forderung nach Anpassung und Integration zu stellen, lasst uns wagen neue gemeinsame Pfade zu gehen.


Verfasst von zwei Teilnehmenden der Debatte, M & V.