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Auf Kosten der Geringverdienenden wird Hamburg-St. Pauli umstrukturiert

aus: ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 535 / 16.1.2009, Autor/innen: Linda Fischer, Steffen Jörg

"Der bunte und vielfältige Stadtteil St. Pauli erfreut sich seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. Zahlreiche Altbauten wurden in den vergangenen Jahren saniert, und die Entstehung attraktiver Neubauten, hochwertiger Restaurants und exklusiver Hotels haben den Stadtteil deutlich aufgewertet und ihm ein neues Image verliehen." Die Beschreibung eines "Neubau-Penthouses" macht deutlich, in welche Richtung sich Hamburg-St. Pauli derzeit entwickelt. Assoziierte man mit dem Stadtteil lange Zeit vor allem billigen Wohnraum und das Rotlichtviertel, so zeugen heute sanierter Altbau, ein Penthouse für zwei Millionen Euro und exklusive Büroflächen davon, dass St. Pauli als Wohn- und Arbeits(stand)ort zunehmend bei Menschen mit gehobenen Einkommen und bei renommierten Firmen Beliebtheit findet.

Die Umstrukturierung von St. Pauli wird jedoch nicht nur anhand einzelner Beispiele "exklusiver Immobilien" deutlich, auch konkrete Zahlen und Fakten belegen diesen Prozess, der verharmlosend als "Aufwertung" bezeichnet wird. In der Wissenschaft wird von Gentrification gesprochen, was die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten durch besser verdienende Haushalte in einem Viertel meint. Neben neuen Lebensstilen, veränderten Biografien und demographischen Umbrüchen ist sie auch ein Ausdruck der spezifischen Verwertungsbedingungen des Immobilienmarktes und stadtpolitischer Entscheidungen.

Wenn man auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum ist, würde man sich in Hamburg sicherlich nicht zuerst die Wohnungsinserate im Nobel-Stadtteil Eppendorf angucken, doch die Kosten für Wohnraum bei Neuvermietung sind dort mittlerweile immerhin niedriger als in St. Pauli. Sie lagen 2007 bereits bei 11,10 Euro pro m2, und damit gut 2 Euro über dem Hamburger Durchschnitt von 9,01 Euro/m2. Da kann Eppendorf, mit eher beständigen 10,80 Euro/m2 nicht mehr mithalten. Diese Tendenzen sind bei der Entwicklung von Immobilienpreisen für Eigentumswohnungen noch deutlicher zu erkennen: Im Zeitraum von 2003 bis 2008 sind diese um 22,9% gestiegen und liegen mittlerweile deutlich über dem Durchschnitt.

St. Pauli: Wirtschaftsfaktor für Hamburg

Im Widerspruch dazu steht, dass St. Pauli immer noch einer der ärmsten Stadtteile Hamburgs ist. So beziehen überdurchschnittlich viele St. PaulianerInnen Hartz IV und der Anteil an Arbeitslosen liegt deutlich über dem Hamburger Durchschnitt. Doch auch hier macht sich "der Wandel" seit einigen Jahren bemerkbar: Die Quote der SozialhilfempfängerInnen sank rapide von 18,5% (1998) auf 11,4% (2003) ab, seit Einführung von Hartz IV verstärkt sich diese Tendenz. Ein weiterer Indikator für Verdrängungsprozesse ist die starke Abnahme des Anteils an BewohnerInnen ohne deutschen Pass, die in St. Pauli einen großen Anteil der Bevölkerung ausmachen bzw. ausgemacht haben. Gerade MigrantInnen sind häufig als Erste von Verdrängungen betroffen. Die Diskriminierungen, denen MigrantInnen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind, finden ihren Widerhall auch im Wohnungsmarkt. Der Anteil an BewohnerInnen St. Paulis ohne deutschen Pass ist von über 40% Mitte der 1990er Jahre auf 27,1% im Jahr 2007 gesunken.

Doch nicht nur auf dem privaten Wohnungsmarkt vollzieht sich diese Veränderung und Verdrängung. Vor dem Hintergrund einer auf Wirtschaftswachstum orientierten Stadtentwicklungspolitik ist St. Pauli vor allem eine "Marke" für Hamburg. Dr. Hans Hellberg, Vorstandsvorsitzender der B&L Immobilien AG, die 2001 ein großes Bürogebäude auf der Fläche der ehemaligen Bowlingbahn (Reeperbahn 1) realisieren wollte, bringt es auf den Punkt: "St. Pauli ist für Hamburg ein großer Wirtschaftsfaktor, genauso wichtig wie der Hafen und vom Image attraktiver als die Alster und der Michel. (...) St. Pauli und Reeperbahn sind international bekannte Markenbegriffe und so viel wert, dass man sie mit Geld nicht bezahlen kann." Jährlich ziehen ca. 25 Millionen BesucherInnen durch das Viertel. Als Rotlicht- und Amüsiermeile ist St. Pauli schon lange beliebt, neu ist, dass sich hier auch vermehrt "renommierte" Unternehmen ansiedeln.

1998 schien diese Strategie beim Millerntor-Hochhaus nicht aufzugehen. Der 300 Mio. Mark teure Neubau, dem ein vermeintlich asbest-verseuchtes Hochhaus weichen musste, stand lange nach seiner Fertigstellung leer. Um den Leerstand zu kaschieren, durfte AOL dort mietfrei residieren. Heute ist das anders. Das so genannte Brauquartier ist dafür ein Paradebeispiel. Auf dem Gelände der ehemaligen Bavaria-Brauerei entstanden mit einem Investitionsvolumen von 350 Mio. Euro fast 300 Wohnungen, das Hotel Empire Riverside und 55.000 Quadratmeter Büros, Einzelhandel und Gastronomie. "Der gesamte Stadtteil wird durch die Bebauung des Bavaria-Geländes aufgewertet", sagt Oberbaudirektor Jörn Walter, "ein interessanter Kontext zur geplanten Elbphilharmonie und den Kirchtürmen unserer Stadt." In den Bürotürmen Atlantic-Haus und Astra-Turm befinden sich unter anderem die Zentrale der DWI Grundbesitz GmbH, AOL Deutschland, Nord Event, die Werbeagenturen BBDO und TBWA oder die Wirtschaftsprüfer IBS-Schreiber. Aktuell will die Strabag GmbH, Europas größtes Bauunternehmen, ihre Norddeutschland-Zentrale an der Reeperbahn 1 realisieren. "Dieser Standort bietet für uns die einmalige Chance, einerseits eine Landmarke für die Stadt zu schaffen und damit gleichzeitig für eine wirkungsvolle Außendarstellung unseres Unternehmens zu sorgen", so ein Vertreter des Konzerns.

SAGA-MieterInnen geben der Elbphilharmonie ihren Namen

Die zunehmende Beliebtheit St. Paulis als Firmenstandort spiegelt sich auch in den Büromieten wider. Es werden für Bürobauten teilweise Spitzenmieten von bis zu 30 Euro pro m2 erzielt, die damit mehr als doppelt so hoch sind wie die durchschnittliche Büromiete in Hamburg und damit selbst die Innenstadt oder die Hafencity übertrumpft. "St. Pauli wird sich ändern. Das ist eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten sein wird - die aber durchaus gewollt ist", postulierte der Baudezernent des Bezirksamts Mitte. Doch welche Entwicklung ist damit eigentlich gemeint und welche gewollt?

Heutige Stadtentwicklungspolitik nimmt die Metropole Hamburg und damit auch St. Pauli dergestalt in den Blick, dass die Stadt im internationalen Standortwettbewerb bestehen muss und Investoren oder Konzernen genügen muss, um möglichst profitabel positioniert zu werden. Nicht die Stadt als demokratisches, vielfältiges und integratives Gemeinwesen, als lebenswerte Umgebung für BewohnerInnen steht im Fokus der Stadtentwicklungspolitik, sondern die Stadt als in Wert zu setzende Ware. Das aktuelle Leitbild "Wachsende Stadt" der CDU bedient sich dieser Strategie. Es ist von einer Unternehmensberatung erstellt worden, ohne Beteiligung der Bevölkerung, und orientiert vor allem auf wirtschaftliches Wachstum und Zuzug von Hochqualifizierten und GutverdienerInnen. Vordenker des Leitbildes ist der ehemalige SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der bereits 1983 im Überseeklub seine Vorstellung vom "Unternehmen Hamburg" einem exklusivem Kreis präsentierte. Wobei seiner Meinung nach "die Wohn- und Arbeitsbedingungen, das kulturelle Umfeld, die Freizeitmöglichkeiten unserer Stadt ein immer größeres Gewicht für die Standortentscheidung - ich sage das einmal so - einer neuen Intelligenz" haben werden.

Der Widerstand gegen Gentrifizierung regt sich

Ausdruck dieser Verwertungslogik einer Stadtentwicklungspolitik ist die seit 2003 geltende Regelung der Grundstücksvergabe nach dem Höchstpreisverfahren. Wurden früher städtische Grundstücke für den geförderten Wohnungsbau und den Genossenschaftsneubau nach einem einheitlichen Grundstückskostenrichtsatz vergeben, erhält heute derjenige Anbieter das Grundstück, der den höchsten Preis bietet. Höchstmöglicher Profit beim Verkauf städtischen Eigentums ist die Devise, oder, um es in den Worten des 2004 amtierenden Finanzsenators Dr. Wolfgang Peiner zu sagen, das Ziel, "Hamburg zur wirtschaftsfreundlichsten Stadt bei der Flächenbereitstellung in Deutschland zu machen."

Auch die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA ist mittlerweile Teil des "Unternehmen Hamburgs". Ursprünglich gegründet, um "sichere und sozial verantwortliche Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung zu angemessenen Preisen" zu gewährleisten, verfolgt das städtische Unternehmen mittlerweile ganz andere Ziele. Die SAGA besitzt in St. Pauli einen nicht unbeachtlichen Anteil an Wohnungen, von denen ca. die Hälfte (noch) Sozialwohnungen sind. Jedoch zeugen insbesondere aktuellere Unternehmensentscheidungen davon, dass die SAGA St. Pauli für neue MieterInnenschichten "entdeckt" hat. So ließ die SAGA z.B. Gründerzeithäuser gegen den Widerstand der Stadtteilbevölkerung abreißen. Trotz ihres Versprechens, neue Sozialwohnungen an dieser Stelle zu realisieren, entstanden letztendlich freifinanzierte Wohnungen mit Mieten von 9,50 Euro/m2 aufwärts. In den letzten zehn Jahren fanden vermehrt Instandsetzungen und Modernisierungen statt. 1998 waren die Bestände der SAGA in St. Pauli-Süd noch zu zwei Dritteln ohne Zentralheizung und Bad ausgestattet. Heute ist dies fast überall selbstverständlich. Nichts gegen den höheren Wohnstandard, erkauft wird er sich mit massiven Mietsteigerungen, die sich dann die langjährigen MieterInnen schlichtweg nicht mehr leisten können.

Das Dargestellte ist Ausdruck einer profitorientierten Unternehmenspolitik, die eher die "Vermögenssicherung der Freien und Hansestadt Hamburg" im Fokus hat denn die Bereitstellung günstigen Wohnraums. Mehrere 10 Mio. Euro Dividende gehen jährlich an die Stadt. Noch deutlicher wird dies an der Fusion von SAGA und GWG. 2005 kaufte die SAGA das ebenfalls städtische Wohnungsbauunternehmen GWG Gesellschaft für Wohnen und Bauen mbH. Insgesamt 500 Mio. Euro zahlt die SAGA über fünf Jahre verteilt an die Stadt, die mit diesem Geld in einem Sonderinvestitionsprogramm gebündelt so genannte Leuchtturmprojekte, wie die Elbphilharmonie, die U-Bahn in die Hafencity, aber auch die Umgestaltung und Privatisierung des Spielbudenplatzes auf der Reeperbahn finanziert. Das alles auf dem Rücken der über 130.000 SAGA-Haushalte. Denn schließlich sind sie es, die mit ihren monatlichen Mieten den Profit der SAGA sicherstellen. Die Stiftung Elbphilharmonie, die mit der Werbekampagne "Geben Sie der Elbphilharmonie ihren Namen" um SpenderInnen zur Finanzierung des Mega-Projektes wirbt, sollte somit die SAGA/GWG um die Namen aller ihrer MieterInnen bitten. Sind sie es doch, die einen nicht unerheblichen Teil zur finanziellen Realisierung des Millionen-Euro-Lochs Elbphilharmonie leisten.

Häufig wird den KritikerInnen einer solchen Umstrukturierungen entgegnet, dass man doch nur gegen Veränderung sei und sich auch vieles positiv für St. Pauli entwickelt hätte. Dabei stellt sich die Frage, für wen solche Umstrukturierungen bzw. Gentrificationprozesse positiv sind und für wen nicht. Aus der Perspektive der Wirtschaft, der Wohnungsunternehmen und anderer Firmen ist es positiv, wenn Gebiete beliebter und damit für sie rentabler werden, man also höhere Mieten verlangen kann und sich Investitionen "lohnen". Aus Sicht der Regierung sind solche Entwicklungen gut, da sie dafür sorgen, dass sich Hamburg im internationalen Wettbewerb der Städte behauptet und attraktiv für Unternehmen sowie GutverdienerInnen wird und damit u.a. mehr Steuereinnahmen zu erwarten sind. Für Menschen mit hohem Einkommen können solche Entwicklungen positiv sein, da sich das Angebot an "exklusiven Wohnungen in attraktiven Lagen" für sie erhöht.

Für die derzeitigen BewohnerInnen bedeuten Infrastrukturmaßnahmen, Modernisierungen und Instandsetzungen zunächst einen höheren Wohnstandard, aber gleichzeitig auch steigende Mieten, die sich schon jetzt einige nicht mehr leisten können. So gibt es immer mehr Eigentumswohnungen und es werden neue, hochpreisige Wohnungen gebaut. Dies führt zu noch höheren Mieten und einer Verknappung von günstigem Wohnraum. Die Mehrheit der St. PaulianerInnen wird sich ihren Stadtteil so schon bald nicht mehr leisten können. Auch die Repressionen gegen bzw. die Verdrängungen so genannter "Randgruppen" nehmen zu. Obdachlose oder SexarbeiterInnen möchten die "neuen" BewohnerInnen und Unternehmen dann meistens lieber doch nicht direkt vor ihrem Fenster haben. Der Manager vom Spielbudenplatz machte in diesem Zusammenhang Schlagzeilen, weil er mit Sprinkleranlagen gegen Personen vorging, die die Bühnen auf dem Spielbudenplatz als Nachtlager nutzten.

"Positiv" - so bleibt festzuhalten - sind die derzeitigen Entwicklungen also vor allem für Wirtschaft und GutverdienerInnen, verdrängt werden Randgruppen und Bevölkerungsschichten mit weniger Einkommen. Gentrifizierung eben. Zunehmend regt sich gegen all dies Widerstand. Seit Mitte 2008 gibt es ein Aktionsnetzwerk gegen Gentrification, und in St. Pauli Nord etabliert sich zurzeit das Centro Sociale (ein politisches, soziokulturelles Zentrum, das sich als Kontrapunkt zur Gentrifizierung versteht). Auch über den Stadtteil hinaus, in Wilhelmsburg, in der Schanze, in St. Georg und anderswo, gibt es vermehrt Menschen, die sich gegen die herrschenden Stadtumstrukturierungsentwicklungen zur Wehr setzen. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.