Aktionen

Nehmen wir uns das Recht auf Stadt: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Recht auf Stadt, Plattform fuer stadtpolitisch Aktive

(kein Unterschied)

Version vom 19. April 2010, 15:28 Uhr

== Positionen zur „Recht auf Stadt“-Bewegung in Hamburg Nehmen wir uns die Stadt! ==

Seit Sommer 2009 ist Hamburg in Bewegung. Von Künstlerinnen über Kleingärtner bis hin zur außerparlamentarischen Linken haben sich Initiativen gebildet, die ein „Recht auf Stadt“ einfordern, Themen wie Stadtumstrukturierung und Verdrängungsprozesse werden öffentlich diskutiert und Hausbesetzungen sind wieder „in“. Während sich an einigen Stellen erste konkrete Erfolge abzeichnen (wie mit dem erfolgten Rückkauf des Gängeviertels oder dem Verbleib des Centro Sociale), drohen andere Auseinandersetzungen zu scheitern.

Wir als Avanti – Projekt undogmatische Linke arbeiten seit Sommer 2009 aktiv in der Bewegung und in einigen Initiativen mit. Viele von uns sind als BewohnerInnen innenstadtnaher Viertel selbst von den fortschreitenden Umstrukturierungsprozessen betroffen. Mit dem folgenden Text möchten wir unseren Standpunkt in der Bewegung erläutern, auf Fallstricke in den Konflikten aufmerksam machen und Perspektiven skizzieren.

1. Was „Recht auf Stadt“ für uns bedeutet Der Begriff „Recht auf Stadt“, der auf den marxistischen Theoretiker Henri Lefèbvre zurückgeht und international in verschiedenen Kontexten benutzt wird, bringt in Hamburg mittlerweile ein breites Spektrum an Initiativen, Strömungen und Akteuren aus den verschiedensten Konfliktfeldern zusammen. Was sie eint, ist die Idee und die Forderung, in allen Belangen des Lebens, Wohnens und Arbeitens in dieser Stadt mitzubestimmen und sich gegen eine neoliberale Stadtentwicklungspolitik zu wehren, die nur den Interessen des Kapitals dient. Es geht um nicht weniger als die Erneuerung der Stadt und damit letztlich um die Machtfrage, denn heute liegen die Entscheidungen über den städtischen Raum in der Hand von Stadtentwicklern, Geldgebern, Unternehmen und Politikerinnen. Mit der Parole und der Einforderung eines Rechts auf Stadt wurde ein gemeinsamer Nenner der verschiedenen Konfliktfelder gefunden und in einer offensiven Forderung ausgedrückt: Alle BewohnerInnen der Stadt haben ein Recht auf Stadt! Die „Right To The City Alliance“ aus New York schreibt: „Wir glauben, das Recht auf Stadt ist das Recht aller Menschen die Lebensumstände herzustellen, die ihren Bedürfnisse entsprechen.“ Das bedeutet Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und zur Partizipation an allen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen. Das Konzept „Recht auf Stadt“ stellt sich der derzeit vorherrschenden neoliberalen Stadtentwicklungspolitik diametral entgegen und weist tendenziell über den Kapitalismus hinaus. Denn eine kapitalistisch organisierte Ökonomie und Gesellschaft, die Profitlogik und Privateigentum an erste Stelle setzt und damit systematisch soziale Ungleichheit und „überflüssige“ Menschen produziert, ist letztlich unvereinbar damit, dass alle BewohnerInnen der Stadt gleichberechtigt und gemeinsam über die Nutzung des städtischen Raums entscheiden. Das Recht auf Stadt ist deshalb auch nicht als bürgerliches Recht zu verstehen, sondern als oppositionelle Forderung und konstiuierendes Moment sozialer Gegenmacht von unten. Sie ist damit ein Bestandteil der weltweiten Auseinandersetzungen um globale soziale Rechte. Das Recht auf Stadt wird von Bewegungen auf der Straße kreiert, als Akt der Selbstermächtigung gegen ungerechte Verhältnisse. Es geht bei „Recht auf Stadt“ nicht um Appelle an PolitikerInnen oder Parlamente, sondern um die praktische Aneignung von Raum und Entscheidungsmacht über städtische Prozesse. In diesem Sinne beschreibt der Geograph David Harvey „Recht auf Stadt“ gleichzeitig als Arbeitsmotto und politisches Ideal. Als Recht der Unterdrückten auf Gegenwehr bietet es als Arbeitsmotto eine Dachidee für städtische Aneignungskämpfe. Diese Aushandlungen müssen oft gegenüber den bürgerlichen Gesetzen durchgesetzt werden, denn das geltende Recht schützt die Besitzenden und Mächtigen. Als politisches Ideal steht ein konsequentes Recht auf Stadt aller BewohnerInnen der Stadt für eine gerechtere Gesellschaft, in der alle Menschen die Macht haben über ihre Lebensumstände selbst zu bestimmen. Eine Stadt, die von den BewohnerInnen nach ihren Bedürfnissen gestaltet wird und nicht nach den Interessen des Kapitals.

2. Reaktionen von Stadt, Medien und Parteien Die Vielfalt der Initiativen und die Vielzahl der aktuellen Konfliktfelder machen deutlich, dass die Auseinandersetzungen um das Recht auf Stadt Hamburg noch für längere Zeit beschäftigen werden. Die Dynamik der Bewegung ging einher mit einer enormen Resonanz in den bürgerlichen Medien Hamburgs. Selbst das konservative Hamburger Abendblatt entdeckte sein Herz für die hausbesetzenden KünstlerInnen und kritisierte eine „Politik, die Städtebau allzu oft den Interessen der Investoren (und des Stadtsäckels) unterordnete“ (21.10.09). Die zahlreichen Initiativen schafften es, die städtischen Behörden und Kapitalanleger dabei in eine defensive Rolle zu drängen, auf Podiumsdiskussionen mussten sich Staatsräte für die Marketingpolitik der Stadt verantworten, Investoren wurden der Lächerlichkeit preisgegeben. Eine Verschiebung im öffentlichen Diskurs war die Folge. So gab es in den Reihen von Politik und bürgerlichen Medien nur noch wenige, die offen verkündeten: „Gentrifizierung? Ja bitte!“ (Welt Online, 13.12.09). Trotz dieser neuen Öffentlichkeit fielen die Reaktionen von städtischer Seite bisher ambivalent aus. Zentrale Großprojekte wie die Ansiedlung von IKEA in Altona und der damit zusammenhängende „Masterplan“ für den Stadtteil werden weiterhin gegen alle Proteste durchgesetzt, „Leuchtturm“-Bauten wie die Elbphilharmonie, aber auch Stadtentwicklungsprojekte wie die Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg werden weiter vorangetrieben und eine grundlegende Abkehr von der neoliberalen Standortpolitik ist nicht in Sicht. Diese Politik zeichnet sich durch eine auf ökonomisches Wachstum und den globalen Standortwettbewerb ausgerichtete Orientierung aus, bei der die Stadt in erster Linie als „Unternehmen“ fungiert. Eingeleitet wurde diese Politik in Hamburg vom SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der mit dem Motto vom „Unternehmen Hamburg“ 1983 einen Paradigmenwechsel vollzog. Auf praktischer Ebene fand diese neoliberale Neuausrichtung städtischer Politik ihren Ausdruck in der Privatisierung städtischer Güter, Flächen und öffentlicher Aufgaben, auf ideologisch-programmatischer Ebene in Leitbildern wie dem 2002 publizierten Programm „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“, mit dem die Stadtentwicklungspolitik endgültig im globalen Städtewettbewerb verortet und das Ziel verkündet wurde, Hamburg zu einem international gut aufgestellten Wirtschaftsstandort zu machen – einer „wachsenden und pulsierenden Metropole mit internationaler Ausstrahlung“. Auch mit dem im Februar 2010 veröffentlichten neuen Leitbild „Wachsen mit Weitsicht“ ist keine Abkehr von diesen Leitlinien in Sicht, sondern lediglich eine Ergänzung um „kreative“ und „ökologische“ Komponenten. Trotz des Festhaltens des Senats an einer neoliberalen Politik, die die Stadt als Wachstumsmaschinerie und ihre BewohnerInnen lediglich als Humankapital begreift, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass auf die von der Bewegung formulierte Kritik an Gentrifizierungsprozessen reagiert wird. So kündigte der Senat den Erlass sozialer Erhaltensverordnungen für die Stadtteile St. Pauli, St. Georg, Karo- und Schanzenviertel an, mit denen Luxussanierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen erschwert werden sollen. Ein neuer Umgang beim Verkauf städtischer Grundstücke soll mit der Abkehr vom Höchstgebotsverfahren und einer verstärkten Vergabe nach Nutzungskonzeptionen eingeleitet werden. Die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA will bis zum Jahr 2012 1230 neue Wohnungen bauen. Und die SPD versucht sich mit der Übernahme von Kritiken aus der „Recht auf Stadt“-Bewegung und unter dem Motto „Hamburg für alle“ als soziale Oppositionskraft zu profilieren. Um die Reaktionen der Lokalpolitik auf unsere Proteste einordnen zu können, müssen wir ein Verständnis städtischer Politik entwickeln. Dabei ist die Stadt als lokale Ebene staatlicher Politik zu begreifen, deren Aufgabe die Regulation einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft ist – letztlich ohne die Macht- und Eigentumsverhältnisse grundlegend anzutasten. Sie ist damit zum einen Träger bürgerlicher Herrschaftsverhältnisse, zum anderen beeinflussen soziale Kämpfe und Proteste aber diese Strukturen. Die Maßnahmen städtischer Politik sind auch ein Ausdruck von Kräfteverhältnissen zwischen sozialen und politischen Akteuren. Das bedeutet für uns, dass wir konkrete Teilerfolge nicht ablehnen oder beispielsweise auf Verhandlungen um konkrete Räume verzichten sollten, aber dass wir uns bewusst sein müssen, dass der schwarz-grüne Senat nicht unser Partner im Kampf gegen die „bösen Investoren“ ist. Als Vertreter einer neoliberalen Stadtpolitik ist er vielmehr unser politischer Gegner, gegen den wir unsere Ansprüche durchsetzen und die politischen Kräfteverhältnisse zu unseren Gunsten verschieben müssen. Dabei lassen sich allerdings auch innerhalb der staatlichen Apparate Widersprüche (beispielsweise zwischen konkurrierenden Parteien oder den Ebenen Bezirk/Senat) ausmachen, die wir uns zunutze machen sollten.

3. Rolle und Bedeutung der „kreativen Klasse“ Die „Recht auf Stadt“-Bewegung in Hamburg ist vielseitig, ihre überwiegende Herkunft aus einem linksalternativen Mittelklasse-Milieu, das sich in den Szene-Stadtteilen von Hamburg konzentriert, aber nicht zu übersehen. Einer der roten Fäden in der öffentlichen Debatte der letzten Monate ist die nach der Bedeutung der sogenannten „Kreativen“ für die Stadt. Dabei verweist deren Rolle innerhalb der Bewegung ebenso wie die öffentliche Debatte (und das Entgegenkommen von städtischer Seite) auf neue, postfordistische Formen kapitalistischer Produktionsverhältnisse und den Aufstieg einer Kreativ- und Wissensökonomie, die in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Transformation städtischer Räume. Nach langen Jahren der Suburbanisierung (also des Wegzugs aus den Innenstadtbereichen in die Vororte) werden die Innenstädte wieder attraktiv. Damit einher gehen Prozesse der Gentrifizierung, also der sozialen Umstrukturierung von Stadtteilen durch den Zuzug neuer, finanzstärkerer Bewohnerschaften, der ökonomischen Aufwertung und damit auch der Verdrängung ärmerer AnwohnerInnen. Die Rolle künstlerischer, „kreativer“, studentischer und subkultureller Milieus in diesen Prozessen ist ambivalent. Zum einen fungieren sie als Vorhut der Gentrifizierung und treiben diesen Prozess – ob gewollt oder nicht – voran. Von politischer Seite aus werden sie mittlerweile gezielt als solche „Pioniere“ eingesetzt, wie der Chef des Bezirksamts Mitte gegenüber der taz in Bezug auf Wilhelmsburg erklärte: „Die Künstler kommen zuerst, dann wird der Stadtteil aufgewertet. Gentrifiziert. Die sind die Vorhut“ (24.09.09). Spätestens mit der Besetzung des Gängeviertels im August 2009 hat auch die schwarz-grüne Koalition in Hamburg die Bedeutung der „kreativen Klasse“ erkannt. Die erstaunlich positive mediale und politische Resonanz auf Teile dieser Bewegung ebenso wie die Duldung von Hausbesetzungen, sofern sie „nur“ von KünstlerInnen ausgehen, ist u.a. dem drohenden Imageverlust zuzuschreiben, den dieser Protest für die „Marke Hamburg“ im globalen Städtewettbewerb bedeutet. Aus Sicht der neoliberalen VerwalterInnen der Stadt stellen die künstlerisch und kreativ Arbeitenden ein wichtiges Humankapital dar. So erklärt die Koalition in ihrem neuen Leitbild „Wachsen mit Weitsicht“, es gehe um die Förderung von „inneren Wachstumsfaktoren“, die Bedeutung von „Kreativität“ als zentraler Ressource in einer auf stetige Innovationen ausgerichteten Wirtschaftsweise und darum, ein „räumliches Umfeld“ zu schaffen, in dem sich „Talente entfalten können“. Kreativität ist zu einem zentralen Standortfaktor geworden, um den die europäischen Metropolen im Städtewettbewerb konkurrieren müssen. Richard Florida, Erfinder des Schlagworts der „kreativen Klasse“, ist der neoliberale Vordenker einer entsprechenden Stadtentwicklungspolitik. Er betont die Bedeutung subkultureller Räume für die ökonomische Entwicklung von Metropolen wie Hamburg: „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race.“ Mit der Anfang 2010 präsentierten Studie „Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg“ versucht der Senat, sich an den Vorgaben, die von Stadtentwicklungsgurus wie Florida gemacht werden, zu orientieren, um „Hamburg als kreative Stadt zu profilieren“ und nicht den Anschluss an diese neue „Wachstumsbranche“ zu verpassen. Floridas Thesen zeigen, dass eine Kritik an den Prozessen von Stadtumstrukturierung, die sich lediglich auf die Bedeutung von „kreativen Milieus“ und subkulturellen Räumen bezieht, die die eigene ambivalente Rolle in Gentrifizierungsprozessen nicht thematisiert und die die soziale Frage ausklammert, anschlussfähig an neoliberale Diskurse ist. Mit dem Manifest „Not In Our Name, Marke Hamburg“ vom Oktober 2009 wurde sich einer solchen Logik aber offensiv verweigert und die aktuelle neoliberale und unsoziale Stadtentwicklungs- und Vertreibungspolitik in der Öffentlichkeit massiv in die Kritik gerückt. Das ist die andere Seite der künstlerisch und kreativ Arbeitenden: ihr Wirken als Impulsgeber einer gentrifizierungskritischen Bewegung. Für die Menschen, deren Ideen und Kreativität im Sinne immer neuer ökonomischer „Innovationen“ ausgebeutet werden soll, bildet die Stadt den Ort ihrer Produktion. Die ökonomischen Bedingungen, unter denen Ideen, Codes und Symbole produziert werden, werden bei aller Fokussierung auf „kreative Räume und Milieus“ jedoch in der Regel ausgeblendet. Im Schatten der Euphorie über die boomende Kreativökonomie breiten sich – oftmals trotz hoher beruflicher Qualifikation – instabile, prekäre Arbeitsverhältnisse aus. Angesichts der ökonomischen Unterschiede unter KreativarbeiterInnen kann deshalb keine Rede sein von einer einheitlichen „kreativen Klasse“. Trotz prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse sind „Kreative“ allerdings durch ihr kulturelles Kapital und die Aussicht auf den sozialen Aufstieg im Vergleich zu anderen Teilen der Bevölkerung immer noch relativ privilegiert. Der Kampf für ein „Recht auf Stadt“ darf sich deshalb nicht darauf beschränken, kulturelle Nischen zu erobern, sondern muss Fragen von sozialer Ungleichheit und prekären Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen thematisieren und dabei ein solidarisches Verhältnis zu den Menschen entwickeln, die noch stärker als „Kreative“ von Prozessen der Gentrifizierung und Prekarisierung betroffen sind.

4. Die soziale Frage stellen: Billiger Wohnraum für alle! Wenn die Bewegung die derzeitige Stadtentwicklungspolitik wirklich grundlegend in Frage stellen will, gilt es deshalb, die soziale Frage verstärkt in den Vordergrund der Auseinandersetzungen zu rücken. Das bedeutet zum einen, die eigene soziale Lage der derzeit in den Protesten Involvierten zu thematisieren. Die soziale Frage zu stellen, bedeutet aber auch, sich auf marginalisierte soziale Gruppen zu beziehen, die sich (noch) nicht in der Bewegung engagieren: HartzIV-EmpfängerInnen, Migrantinnen und Migranten, von den Krisenfolgen bedrohte Beschäftigte. Als verbindendes Element all dieser Gruppen in der Stadt sehen wir die Frage der Miete an. Schon jetzt sind die Mietkosten für viele BewohnerInnen eine kaum mehr tragbare Belastung. Für eine große Anzahl von Haushalten nimmt die Miete bereits 50 % ihres gesamten Nettoeinkommens ein. Und auch die Situation für Wohnungssuchende ist in Hamburg beschissen: Das Angebot an bezahlbaren Wohnungen ist knapp und verringert sich weiter, Wohnungen in zentralen Stadtteilen zu finden ein Ding der Unmöglichkeit geworden. So kommen beispielsweise auf jedes Wohnungsangebot der SAGA-GWG mittlerweile im Schnitt 120 Bewerberinnen und Bewerber. Ganze Gruppen von Menschen haben kaum Aussicht, eine Wohnung zu finden, insbesondere Obdachlose, Menschen mit Behinderungen und psychisch Kranke. In innerstädtischen Lagen hat der Mangel an Wohnraum zu enormen Mietpreissteigerungen geführt, in St. Pauli zwischen 2005 und 2009 beispielsweise um 27,7 Prozent! Parallel zu dieser Entwicklung wurde der soziale Wohnungsbau immer weiter zurückgefahren, die Zahl der Sozialwohnungen verringerte sich von 150.172 (2000) auf 105.873 (2009) und auch der Neubau von Wohnungen allgemein sank von 6.502 (2000) auf 3.173 (2007). Die städtische Politik hat diesen Entwicklungen bisher nicht nur nichts entgegengesetzt, im Gegenteil, Senatorin Hajduk (GAL) warnt gar vor „hektischem Gegensteuern“ und das städtische Wohnungsunternehmen SAGA-GWG, in deren 130.000 Wohnungen rund 300.000 HamburgerInnen leben, arbeitet immer stärker profitorientiert. Die Mieten in SAGA-Wohnungen stiegen in den letzten Jahren schneller (im Durchschnitt um 33 %) als die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt (17 %). Als Ende letzten Jahres der neue Mietenspiegel für Hamburg veröffentlicht wurde, erhöhte die SAGA bei 23.000 Wohnungen die Miete. Die SAGA lässt es sich dabei auch nicht nehmen, nach dem Auslaufen der Bindungsfristen für sozialen Wohnraum Erhöhungen bis an die Kappungsgrenze von bis zu 20 % durchzusetzen. Sanierungen und Modernisierungen sind generell willkommene Anlässe für Mieterhöhungen. Die aus dieser Politik resultierenden Profite (im Jahr 2008 ganze 106 Millionen Euro) werden dann in Projekte wie die Elbphilharmonie verpulvert, anstatt sie in eine solidarische Wohnungsmarktpolitik zu investieren. Im Gefolge der „Recht auf Stadt“-Proteste sind in den letzten Monaten allerdings verstärkt politische Regularien in die Debatte eingebracht worden, beispielsweise der Erlass sozialer Erhaltensverordnungen für bestimmte Stadtteile und der angekündigte Wiedereinstieg der SAGA in den Wohnungsbau. Dabei handelt es sich um erste Teilerfolge unserer Bewegung, die Reichweite dieser Maßnahmen ist jedoch extrem begrenzt. Weder legen Erhaltensverordnungen beispielsweise Mietobergrenzen fest noch bedeutet eine Erhöhung des Sozialwohnungsbestandes automatisch eine völlig andere Wohnraumpolitik. Aber um genau die muss es gehen! Wir müssen den Zusammenhang von Wohnraum und Profitorientierung grundlegend in Frage stellen. Dieser wurzelt letztlich im „heiligen“ Prinzip des Privateigentums, das für die kapitalistische Organisation des städtischen Raumes zentral ist und Grundeigentum zur Quelle einer besonderen Form des Einkommens (Grundrente) und Wohnraum zu einer handelbaren Ware macht, die vermietet oder verkauft werden kann. Der Großteil der lohnabhängigen Bevölkerung ist damit einer Doppelausbeutung unterworfen: Während im Betrieb, im Büro oder in selbständiger Arbeit immer mehr Arbeit für weniger Lohn bleibt, werden in der reproduktiven Sphäre z.B. die Preise für öffentliche Verkehrsmittel erhöht oder eben die Mieten systematisch angehoben. Während eine kleine Zahl von Grundeigentümern und Immobilienfirmen über die Nutzung von Grundstücken und Gebäuden in dieser Stadt entscheiden kann, bleibt der große Teil der Bevölkerung von einer solchen Verfügungsgewalt ausgeschlossen. Dagegen geht es uns um eine Gesellschaft, in der städtischer Raum zum Gemeingut wird und in der diejenigen über den Wohnraum verfügen können, die ihn auch nutzen. Das heißt anders herum, Wohnflächen perspektivisch mehr und mehr der kapitalistischen Logik des Marktes zu entziehen – beispielsweise über die Forderung nach einer Mietobergrenze, einer Höchstmiete von 4 Euro pro Quadratmeter. Die Politik der SAGA-GWG zeigt jedoch, dass eine Kommunalisierung von Wohnraum nur ein erster Schritt sein kann. Letztlich geht es um die Verfügungsgewalt der MieterInnen über den Wohnraum, Forderungen nach einer „SAGA in MieterInnenhand“ weisen hier in die richtige Richtung. Denn wir dürfen die Wohnungsfrage nicht PolitikerInnen überlassen, sondern müssen sie selbst in die Hand nehmen. Nur eine Gegenmacht von unten wird genügend Druck aufbauen können, um beispielsweise die SAGA zu einer anderen Politik zu bewegen. Dazu bedarf es neben spezifischen Forderungen und konkreten Utopien auch der Entwicklung von geeigneten Kampfformen und des Aufbaus von MieterInnen-Netzwerken zur gegenseitigen Information und Unterstützung.

5. Perspektiven der Bewegung Die Vielfalt der „Recht auf Stadt“-Bewegung ist eine entscheidende Stärke, unter anderem weil sie Bündnisse über enge Szenegrenzen oder Partikularinteressen hinaus ermöglicht. Solche Bündnisse sind auch wichtig, um einer möglichen „Privatisierung“ der vielen heterogenen Einzelkämpfe und einer Befriedung durch die Lösung einzelner Konflikte entgegenzuwirken. Der „Recht auf Stadt“-Bewegung ist es bereits gelungen, über eine Vernetzung vielfältiger Einzelinitiativen hinaus etwas Gemeinsames zu schaffen – ein Gemeinsames in den unterschiedlichen Praxen, das über die konkreten Partikularinteressen hinausgeht und durch das Kontinuität im kollektiven Handeln entstehen kann. Dieser Prozess ist bereits im Gange, wenn es in den einzelnen Kämpfen nicht nur darum geht, beispielsweise IKEA oder die Moorburgtrasse zu verhindern, sondern auch darum, wie wir grundsätzlich in dieser Stadt leben und diese Stadt gemeinsam nach unseren Vorstellungen gestalten wollen. Wie alle Bewegungen wird aber auch die derzeitige Dynamik der Proteste nicht von Dauer sein. Damit droht die Gefahr, dass nach einer wie auch immer gearteten „Lösung“ der großen Konfliktfelder auch die Gesamtbewegung an Schwung verliert. Aus diesem Grund wird es notwendig sein, neben dem Kampf für konkrete Freiräume oder gegen spezifische Großprojekte auch übergreifend ausgerichtete, kontinuierlich arbeitende Projekte aufzubauen und voranzutreiben. Gleichzeitig gilt es, aus der relativen Beschränkung auf die „Szene“-Stadtteile und ein bestimmtes Milieu auszubrechen und perspektivisch die Ausweitung auf andere soziale Gruppen und Stadtteile zu forcieren. Ein Mittel dazu könnten die bereits erfolgreich erprobten Stadtteil- und MieterInnenversammlungen – oder auch Stadtteilläden und Zentren als feste Anlauforte – darstellen. Denn wir brauchen Orte und Gelegenheiten des Austausches – und zwar nicht nur innerhalb der Bewegung und unter schon politisch Aktiven, sondern auch in den Räumen und sozialen Zusammenhängen, in denen wir uns im Alltag sonst noch bewegen. Solche Orte der Information und der gemeinsamen Diskussion sind enorm wichtig, um erste praktische Erfahrungen im kollektiven Handeln zu machen – eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass mehr Menschen für ihr eigenes Recht auf die Stadt eintreten. Das Ziel muss es sein, sich nicht in bereits erkämpften Freiräumen einzurichten (mit der Gefahr, sich gesellschaftlich zu isolieren), sondern unsere Bewegung in den Stadtteilen dauerhaft zu verankern und dabei eine grundsätzliche Offenheit zu bewahren. Gegenüber Versuchen der Vereinnahmung und Integration seitens der politischen Ebene gilt es, die Unabhängigkeit des Netzwerkes zu wahren und weiterhin auf das kollektive Handeln der Betroffenen zu setzen. Das bedeutet nicht, Effekte unseres eigenen Handelns in den Institutionen und auf der politischen Ebene zu negieren, aber eine grundsätzliche Distanz zur (partei)politischen Ebene zu bewahren. Für ein „Recht auf Stadt“ einzutreten, bedeutet, Prozesse der Selbstermächtigung, der Teilhabe und Gestaltung von unten zu stärken. Dabei dürfen wir uns in den Mitteln und Wegen, um unsere Ziele zu erreichen, nicht beschränken, sondern müssen offen sein für „legalistische“ Wege ebenso wie für unkonventionelle Formen des Protests und Aktionsformen des sozialen Ungehorsams. Ohne die Baumbesetzungen und die implizite Drohung monatelanger Unruhen, aber auch ohne die mühselige Kleinarbeit der AnwohnerInnen und Klima-AktivistInnen vor Ort sowie die Anrufung der juristischen Ebene (die letztlich nicht „objektiv“ oder neutral urteilte, sondern auch von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen beeinflusst war), hätte Vattenfall bereits mit dem Bau der Moorburgtrasse beginnen können. Der arrogante städtische Umgang mit Bürgerbegehren als institutionalisierten Formen von Beteiligung hat gezeigt, dass wir über die repräsentative bürgerliche Demokratie hinausgehen und neue Formen lokaler Basisdemokratie von unten entwickeln müssen. Auch hier sind die Stadtteilversammlungen ein erster Wegweiser, in welche Richtung dies gehen könnte. Um den Kämpfen gegen Stadtumstrukturierungsprozesse eine langfristige Perspektive zu geben, uns nicht im (wenn auch notwendigen) Klein-Klein der konkreten Konflikte und spezifischen Räume zu verlieren und unsere Positionen offensiver nach außen tragen, müssen wir darüber hinaus konkrete Utopien einer anderen, nicht kapitalistisch organisierten und auf Beteiligung, Basisdemokratie und sozialen Rechten beruhenden Stadt entwickeln. Dabei muss klar sein, dass die Modelle einer alternativen Gesellschaft und Stadt nicht im voraus geplant und festgelegt werden können, sondern immer auch Ergebnis konkreter Aneignungskämpfe und Aushandlungsprozesse sind, in denen etwas Neues entsteht.

Der Herbst 2009 war erst der Anfang – Nehmen wir uns die Stadt!

Avanti – Projekt undogmatische Linke [1]