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Portugal: Die „Neue Generation der Wohnungspolitik“ ist nicht neu und verteidigt nicht den Wohnraum

Kurz vor den Kommunalwahlen hat der Premierminister die öffentliche Wohnungspolitik zur Priorität ernannt und richtet ein Staatssekretariat zu diesem Zweck ein. António Costa stellte klar, “die Liberalisierung des Marktes nicht in Frage zu stellen”[1] und identifizierte die Mittelklasse als vorrangige Zielgruppe, die Zugang zu „bezahlbarem“ Wohnraum erhalten solle. Danach kündigte er die Nova Geração de Políticas de Habitação (Neue Generation der Wohnungspolitik) an, unter der bis 2024 keine Familien in unwürdigen Wohnsituationen mehr leben sollten.2 Zudem war die Rede davon, den staatlich geförderten Wohnraum von 2% auf 5% zu erhöhen. Trotz der angekündigten vorrangigen Bedeutung der Wohnungspolitik sind keine Notfallmaßnahmen zu erkennen, die auf die sozialen Krisen und Notfälle von Familien reagieren, die nicht nur unter unwürdigen Umständen leben, sondern gar keine Wohnung mehr haben oder einer Zwangsräumung ohne mögliche Alternativen entgegensehen.

Im Folgenden sollen die zentralen Punkte der Neuen Generation der Wohnungspolitik erörtert und ihr politischer und ideologischer Unterbau analysiert werden, um zu verdeutlichen, inwieweit sie fähig ist, tatsächlich ihre Versprechen einzuhalten.

Zunächst das Programm 1º Direito („1. Recht“)3, das sich mit der Entwicklung und der Verbesserung der Wohnsituation für Familien befasst, die in prekären Verhältnissen leben. Dieses Programm spielt vor allem (aber nicht nur) den Städten und Gemeinden die Ausübung dieses Rechts zu. Seine Ausübung ist freiwillig und belastet die Städte und Gemeinden mit einem beträchtlichen finanziellen Beitrag (zwischen 40% und 65%). Die kürzlich veröffentlichten Zahlen des Staatshaushaltes zeigen, wie wenig der Staat diesem Vorhaben beimisst: 40 Millionen Euro. Auf beachtliche Weise unterfinanziert, greift das 1º Direito zu einem substantiellen Teil auf die Finanzmärkte zurück, und zwar über den Umweg über die Städte und Kommunen. Diesen wird die Lösung des Problems für den Wohnraummangel aufgebürdet, ohne ihnen die notwendigen finanziellen Mittel oder die juristische Fachkompetenz zukommen zu lassen, um die Folgeprobleme zu lösen.

Das Programm “Porta de Entrada” („Eintrittspforte“), das sich mit der Problemlösung bei Wohnungsnotfällen nach Naturkatastrophen befasst, ist eine notwendige Maßnahme. Jedoch scheint die Reichweite dessen, was unter Notfälle fällt, begrenzt zu sein, da sich bereits gezeigt hat, dass es sich nicht an Ballungsgebiete prekärer Wohnsituationen richtet. Die kürzlichen Unwetter und Brände waren kein ausreichender Grund, das Programm zur Anwendung zu bringen, weder die Kommunen noch das IHRU [Instituto da Habitação e Reabilitação Urbana – Institut für städtischen Wohnraum und Instandsetzung] hielten dies für nötig und ließen die Menschen auf der Straße (z.B. den Fall im Bairro da Torre, wo mehr als 30 Personen ihre Wohnungen bei einem Brand verloren, oder die Unwetter, die zahlreiche Wohnungen im Bairro das Pedreiras in Beja zerstörten).

Ein zentraler Programmpunkt der „Nova Geração de Políticas“ ist die sogenannte Vermietung zu für die Mittelklasse bezahlbaren Preisen. Diese soll durch die Erlassung der Einkommens- und Körperschaftssteuer erreicht werden und, gegebenenfalls, der Erleichterung bei der Grundsteuerabgabe für Eigentümer, die ihre Wohnungen zu Preisen unter 20% des Mietspiegels vermieten. Sie gilt für „langfristige Mietverträge“, wobei damit eine Zeitspanne von spektakulären drei Jahren gemeint ist. Unverständlich bleibt, wie eine Vermietung unter 20% des Mietspiegels als bezahlbar angesehen werden kann, insbesondere in den Gebieten mit einem hohen demographischen und Druck auf den Immobilienmarkt, wo eben auch die Wohnungsnot am größten ist. Auf die Familien, die die Voraussetzungen erfüllen, wird ein Belastungsaufwand zwischen 10% und 35% zukommen. Mit Blick auf die aktuelle Preislage sollten die Einkommen von Familien merklich steigen. Diese Feststellung liegt der Aussage des Premierministers zugrunde, in der er eine Erhöhung des Wohnungsbestands – zu beachten die Details in der Aussage – „von 2% im öffentlichen Bestand auf 5% öffentlich geförderten“ fordert. Jedoch, öffentlich geförderter Wohnungsbestand ist nicht öffentlicher, sondern privater Wohnungsbestand, mit überhöhten Preisen, die bezahlbar genannt werden, und deren öffentliche Förderung in der Steuerbefreiung der Hausherren besteht. Diese Aussage in Zusammenhang mit den vorgestellten Zahlen führt zu der Vermutung, dass von einer signifikanten Erweiterung des Bestands an Sozialwohnungen Abstand genommen, dieser auslaufen und, wie Cameron es in England gemacht hat, durch das Konzept des „Bezahlbaren“ (aber nicht zu sehr) mit öffentlicher Unterstützung ersetzt wird. Es wird sich herausstellen, an welcher Stelle und in welchem Ausmaß die Eigentümer sich darauf einlassen. Alles lässt vermuten, dass es in den Gebieten mit dem größten Druck auf dem Immobilienmarkt und dem höchsten Bedarf keine große Resonanz seitens der Eigentümer geben wird, die ihr Vermögen auf anderen Wegen rentabilisieren.

Zudem gibt es das Programm IFFRU, ein Finanzierungsinstrument für städtische Instandsetzungen, das aus dem Arbeitsprogramm Portugal2020 hervorgegangen ist. Dieses beinhaltet ein sehr beachtliches Finanzierungspaket für Kredite zu guten Bedingungen für städtische Instandsetzungen mit einer Privatbank als Vermittlerin. Diese beträchtlichen Förderungen für städtische Instandsetzungen erfordern keinerlei Gegenleistungen in Hinblick auf die Bezahlbarkeit von Wohnungen. In Wirklichkeit fördern sie die Gentrifizierung, die finanzielle Aufwertung von Privateigentum, dessen Finanzierungssystem sich in die nationalen und internationalen Finanzmärkte integriert und sind damit ein Schalthebel für Spekulation und Zwangsräumung.

Die Nova Geração erwähnt außerdem die Notwendigkeit, ein günstiges Umfeld (was Steuerbegünstigung, Liberalisierung usw. bedeuten kann) für den Eintritt von REITs (Real Estate Investment Trusts) in Portugal zu schaffen. REITs sind internationale börsennotierte Finanzierungsfonds, die Einzelinvestoren ermöglichen, Aktien aus Grundbesitz-Portfolios zu kaufen. Für diese müssen sie im Gegenzug für die Steigerung von Immobilien- und Wohnungsmieten sorgen. Da sie den Aktionären Ergebnisse präsentieren müssen, sind Effizienz und eine schnelle Reproduktion des Kapitals geboten. Aus Deutschland, Spanien und den USA sind bereits viele Klagen bekannt. Es scheint nicht, als könnten REITs zu besseren Bedingungen und Bezahlbarkeit von Wohnraum beitragen. Im Gegenteil, sie verschlimmern den Prozess der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes, in dem finanzielle Motive, Akteure und Märkte die Versorgung mit diesem wesentlichen Gut menschlichen Lebens dominieren.

Der Fundo Nacional de Reabilitação do Edificado (Nationalfond zur Gebäudeinstandsetzung) ist ein weiterer Finanzierungsfond in öffentlicher Hand (vorerst). Er dient der Instandsetzung leerstehender Staatsgebäude und, in einer späteren Phase, auch privater. Diese sollen teils zu bezahlbaren Mieten und zum restlichen Teil dem freien Markt zur Verfügung gestellt werden. Da es sich um einen Ertragsfond handelt, muss auch dieser rentabel sein.

Zur Nova Geração4 kommen die zahlreichen Steuererlassungen und –begünstigungen hinzu, die in Zusammenhang mit städtischer Instandsetzung5 oder Immobilienfonds6 gewährt werden. So kommt es, dass staatliche Unterstützung und öffentliche Mittel Zwangsräumungen und Gentrifizierung in unseren Städten fördern, weil sie keinerlei Bedingungen unterliegen. Dass der Premierminister gleich angekündigt hat, den freien Markt unberührt lassen zu wollen, ist von zentraler Bedeutung. Die Nova Geração basiert hauptsächlich auf privaten Lösungen, im Sinne privater Finanzierung, sie hat weder vor, den Markt zur regulieren noch, ihm jegliche Grenzen aufzuerlegen. Für die Regierung steht es außer Frage, Mieten zu regulieren oder der Spekulation Grenzen zu setzen. Das ist bedauerlich, da inzwischen bekannt ist, dass die Hauptverantwortung für unbezahlbare Wohnungen unkontrollierte Märkte tragen, immer stärker zusammengesetzt aus Unternehmen und Fonds, Großgrundbesitzer, die im Prozess der Kapitalanhäufung ganz vorn mit dabei sind.

Ebenso von Bedeutung ist, dass die Zielgruppe die Mittelklasse ist, in einem Land, in dem fast 25% der Arbeiter/innen den Mindestlohn7 erhalten. Wenn die Wohnungspolitik hauptsächlich über das Schlagwort „bezahlbar“ abläuft, steckt hinter diesem „bezahlbar“ eine Methode, sich weiterhin für private Gewinne und zurückgehende öffentliche Investitionen im öffentlichen Bereich einzusetzen, indem die wählende Bevölkerung der Mittelschicht dem Versprechen der Bezahlbarkeit besänftigt wird, das kaum einzuhalten sein wird.

Die Nova Geração ist nicht neu, weil sie mehr vom Bestehenden ist, vom bestehenden neoliberalen Projekt, das mit der Politik begann, die den Kauf von Eigentumswohnungen mit öffentlichen Mitteln unterstützte und dabei die Banken begünstigte. Dies führte zu jahrzehntelanger Immobilienspekulation und ungleich verteilter Bezahlbarkeit von Wohnraum. Daran schloss sich die Liberalisierung des Mietmarktes an, die zu grenzenloser Erhöhung der Mieten geführt hat und die Zwangsräumungen erleichtert. Und nun, zahlreiche Programme zur städtischen Instandsetzung, will sagen: Gentrifizierung, mit Steuererlassungen auf hohe Mieten, die als bezahlbar bezeichnet werden, und prekären Verträgen über drei Jahren – im Neusprech: langzeit (und inzwischen zwischen PS und PSD im Parlament auf zwei Jahre heruntergehandelt wurden). All das hängt noch von der freiwilligen Befolgung der Eigentümer ab. Das Finanzierungsmodell der Nova Geração basiert hauptsächlich auf Banken und Finanzfonds und verschlimmert den Prozess der Finanzialisierung. Es wird Abstand genommen von Regulierung und Besteuerung und auf sozialen Wohnungsbau verzichtet. Die Nova Geração ist ein aufgewärmter und sich damit weiterentwickelnder Neoliberalismus und verteidigt deshalb nicht den Wohnraum. Denn auf eine vom Neoliberalismus provozierte Krise kann die Antwort nicht mehr Neoliberalismus sein.

Rita Silva

Im Original: http://www.habita.info/2019/01/a-nova-geracao-de-politicas-de.html