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Recht auf Stadt Jena

Aus Recht auf Stadt, Plattform fuer stadtpolitisch Aktive

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Unsere Forderungen :

CIMG2087 (Kopie).JPG GEMEINSAM FÜR DAS RECHT AUF STADT

CIMG2090 (Kopie).JPG FÜR EINE SOLIDARISCHE MIETER_INNENBEWEGUNG IN JENA!

CIMG2096 (Kopie).JPG SOZIALER WOHNUNGSBAU HIER UND JETZT

Kostenlose ÖPNV.JPG FÜR KOSTENLOSEN ÖFFENTLICHEN NAHVERKEHR

Dezentrale Unterbringung.JPG FÜR DIE DEZENTRALE UNTERBRINGUNG VON GEFLÜCHTETEN

Am 01.07.2015 in der Stadt plakatiert

=Profitorientierte Stadtentwicklung Jena – Wunderheilmittel für die Wohnungsfrage?

Aus einer Marktlogik ist der Bau von Luxuswohnungen rentabler als der von erschwinglichem Wohnen. Für eine profitorientierte Stadtentwicklung macht es also Sinn, teure Wohnungen zu bauen und sie zu verkaufen oder teuer zu vermieten. Deutschlandweit verfolgen viele kommunale Wohnungsgesellschaften und Stadtverwaltungen solche Strategien. Auch in Jena findet derzeit keine sozialorientierte Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik statt, weil hier gleichfalls auf die Bodenwertsteigerung abgezielt wird. Der normale Bürger muss sich fragen, warum in Jena nicht billig gebaut wird, um billige Wohnungen zu bekommen, wenn diese gerade gebraucht werden?

Die Begründung, warum in Jena zurzeit viele Luxuswohnungen gebaut werden, dabei aber kein bezahlbarer Wohnraum entsteht, hat die Stadtverwaltung gesucht und gefunden. Sie nutzt eine von der Wissenschaft verworfene Theorie, genannt „Sickereffekt“, als Legitimierung ihrer Neubauwelle im hochpreisigen Segment. Und für den Erhalt der Kleingärten gibt es auch keinen Platz mehr. Aber das ist eine andere Diskussion. WERBUNG

Diese Theorie des Sickereffekts – auch Filteringprozess genannt – wurde von Ratcliff (1949) erfunden und erklärt den Wohnungsmarkt als Ergebnis einer Reihe von Umzugsketten. Sie bedeutet, dass der Umzug von Besserverdienenden in bessere neue Wohnungen (teurer, bessere Lage und Qualität) eine Umzugskette auslöst und alle Haushalte „automatisch“ in eine bessere Wohnung umziehen. Am Ende der Kette werden also Wohnungen im unteren Preissegment frei. Die Strategie besteht also darin, Neubauwohnungen im hochpreisigen Segment zu fördern, um damit erschwingliche Wohnungen durch das Sickern zu schaffen. Diese Theorie ist problematisch, weil sie wesentliche Aspekte von Wohnungsmarktmechanismen vernachlässigt.

Die Theorie ignoriert aber, dass:

– viele Haushalte, insbesondere Rentner, ihre Wohnung und ihre Nachbarschaft gar nicht verlassen wollen,

– die freigezogenen Wohnungen vielfach luxussaniert werden und dann dem Niedrigpreissegment fehlen,

– die besserverdienenden Mieter zunehmend mehr Wohnfläche pro Person beanspruchen und damit das Angebot verknappen

– bei der Neuvermietung die Mietpreise steigen, wenn – wie in Jena – die Nachfrage höher als die Angebot ist (Wohnungsknappheit),

– die Wohnungsknappheit gerade in einigen Marktsegmenten verstärkt auftritt: Typisch für Jena wären z.B. der Mangel an 4-5 Zimmerwohnungen für Familien mit mittleren Einkommen, oder an kleinen bezahlbaren Wohnungen für Studierende.

– das Einkommensniveau (Arbeitslosigkeit, Rente, Gehaltsminderung) und die individuellen Lebenssituationen (Scheidung, Familienbildung, Pflegeperson im Haushalt) sich ändern und damit auch die Zahlungsfähigkeit.

– die Bevölkerungszahl wächst.

Aber wie sieht die Situation in Jena konkret aus?

Mit knapp 8 €/m2 Kaltmiete liegt Jena über dem bundesdeutschen Durchschnittswert (7,3) und weit über dem für Thüringen (5,5) und anderer Bundesländer im Osten (Quelle: Mietspiegel). Die Mietpreise haben sich in den letzten Jahren drastisch erhöht und das ist spürbar für Wohnungssuchende: Jena ist die ostdeutsche Großstadt – Berlin ausgenommen – mit den teuersten Mietpreisen und der höchsten Steigerung von +18 % zwischen 2008 und 2013. Sie liegt vor Potsdam, auch in Top-Position mit +13 % (Quelle: statista aus Grundlage von immowelt). Jena wächst und die Zuwanderung ist höher als Abwanderungen. Sie zieht Studierende ein, aber auch Wissenschaftler und hoch gebildeten Arbeitskräfte. Bei weniger als 2 % Leerstand (Quelle: Stadtverwaltung Jena 2014) ist es also schwer abzusehen, wo die Menschen gerne wohnen möchten; vielmehr wohnen sie, wo sie können. Wohnungswünsche müssen sich zwangsweise an den Markt anpassen.

Wohnen in Jena 2020 = keine preiswerte Wohnungen bauen

Auf Grundlage der oben dargestellten überholten Sickertheorie wird jede Baulücke in Jena mit Luxuswohnungen zugebaut. Auch wenn die Wissenschaft sie längst verworfen hat, ist das Sickern immer noch die Grundlage für die Wohnungspolitik in Jena, dargestellt im glorreichen Programm „Wohnen in Jena 2020“, welches noch in unterschiedlichen Gremien präsentiert wird.

Wenn Jena als wachsende Stadt sich weiterhin profilieren will, muss sie auch die soziale Verantwortung übernehmen und eine soziale Wohnraumversorgung vorantreiben. Das aktuelle wohnungspolitische Programm sieht das aber nicht vor:

„Für das Marktsegment des preiswerten Wohnens sind bis auf eine kleine Fläche in Winzerla vorrangig keine neuen Wohnbauflächen zugeordnet worden.“ (Analyse & Konzepte, Wohnbauflächenentwicklung in der Stadt Jena 20141)

Laut Bericht werden keine preiswerte Wohnen zwischen 2015 und 2022 und nur 30 preiswerte Wohnungen von 2023 bis 2030 gebaut. Das sind insgesamt weniger als 1% der gesamten geplanten Wohnbauflächen für den Zeitraum 2015 bis 2030 (Analyse & Konzepte, Seite 6).

Diese Strategie wird mit der Aussage gestützt, dass bald weniger arme Menschen in die Stadt leben werden:

„Darüber hinaus ist in diesem Marktsegment mit keiner nennenswerten wachsenden Nachfrage zu rechnen, da zwei gegenläufige Prozesse festzustellen sind, die sich konkret in Jena in etwa ausgleichen: So wird auf der einen Seite die Zahl der von Altersarmut betroffenen Haushalte steigen, gleichzeitig aber die Zahl der Arbeitslosen, SGB II-Bedarfsgemeinschaften und Studenten sinken, bzw. die Zahl der Erwerbstätigen steigen.“ (Analyse & Konzepte)

Dass die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum tatsächlich stagniert, liegt vermutlich auch am fehlenden Angebot für diese Menschen. Sollen also die Studierenden durch erschwinglichen Wohnraum nicht mehr in Jena angezogen werden? Sollen die Menschen mit niedrigen Einkommen aus der Stadt ausziehen, weil sie es sich nicht mehr leisten können, da zu bleiben? Es wird also offensichtlich nicht in preiswertes Wohnen investiert, sondern abgewartet, dass die armen Menschen aus der Innenstadt ausziehen.

Eine exklusive Innenstadt in Jena

Der Sickereffekt ist kein Wundermittel zur Heilung ihrer Wohnungskrise, wird aber vom Stadtarchitekten Matthias Lerm und dem Dezernenten für Stadtentwicklung Denis Peisker als Lösung dargestellt. Sie denken, dass besser verdienende Mieter aus Lobeda, Winzerla oder Jena Nord ausziehen, um Eigentümer in Neubau zu werden.

Die gesamte lokale Presse berichtet darüber:

„Günstige Bestandswohnungen, zum Beispiel in den Großwohngebieten Lobeda und Winzerla werden frei und können durch Menschen mit einem eher niedrigen Einkommen belegt werden.“ OTZ (05.03.2015)

Und wie?

„Offensiv vergrößern“ ist die Antwort der Stadtverwaltung, da Neubau in Hochpreissegment sogenannte Sickereffekte mit sich bringt, d.h. in „Segmenten niedrigeren Mietpreisniveau“ werden Wohnungen frei, die vorher von Familien bezogen werden, die sich dann für den Neubau entschieden haben. TLZ (17.04.2015).

Tatsächlich sind ein paar Familien von preiswerten Gebieten in Eigentumswohnungen in der Vergangenheit umgezogen1, was aber nicht als Tendenz bezeichnet werden kann. Mit dieser Neubaustrategie wird die Innenstadt von Jena kurzfristig nur für einen immer geringeren Anteil von Menschen bezahlbar. Dabei wird also bewusst entschieden, Wohnen in zentralen Stadtteilen zum Exklusivrecht von Besserverdienenden zu machen und (viele) andere Menschen irgendwo in Randgebiete zu verdrängen.

Eine Stadt für alle!

Die Stadt Jena sollte hinterfragen, welche Interessen ihre „Beratungsagentur“, das Immobilien-Consulting Unternehmen „Analyse und Konzepte“ aus Hamburg vertritt, wenn sie an ihrer Seite die Wohnungsbaustrategie verteidigt. Jena, die „Perle an der Saale“ (Handelsblatt 2014) ist für die Immobilienwirtschaft immerhin eine gute Investition.

Nichts ist schwerer als Prognosen zu erstellen und Wohnbedürfnisse richtig abzuschätzen, gerade in der aktuellen Zeit des demographischen Wandels. Die Stadt Leipzig ist ein markantes Beispiel für unerwartete Entwicklungen. Sich auf die Sickertheorie zu berufen, ist also keine Strategie für eine wachsende Stadt der 21. Jahrhundert. Diese Theorie trägt nicht zum „Recht auf Stadt“ bei, da sie eine Gesellschaft von privaten Eigentümern vorsieht, die Arme aus der Innenstadt vertreiben will und ein exklusives Stadtzentrum schaffen wird – genau wie das Dezernat „Stadtentwicklung und Umwelt“ Jenas und der Stadtrat aktuell der Wohnproblematik gegenüberstehen.

Als Bürger der Stadt möchten wir in einer sozial gemischten Stadt leben und fordern eine sozialverträgliche und keine profitorientierte Wohnungspolitik, damit Wohnraum für die Menschen und von den Menschen selber gestaltet wird.

1) Studie zur Wohnbauflächenentwicklung in der Stadt Jena 2014, vom 17.04.2015, errichtet von „Analyse & Konzepte“ GmbH aus Hamburg, beauftragt von der Stadt Jena. http://www.jenapolis.de/wp-content/uploads/2015/05/Jena_Wohnbauflaechen_2014_-_23_04_2015.pdf (Zugriff am 11.05.2015).

2) Jacobs T., Lerm M. (2012). Jena: Strategien für ein besseres Wohnen in der Stadt, in BBSR: Die Attraktivität großer Städte, S.37 ff.



Der Erfinder des Begriffs „Recht auf Stadt“ war ein französischer Aktivist und Intellektueller Henri Lefebvre (1901-1991), der die Mai-68-Bewegung inspirierte. Während des Baus der „banlieues“ kritisierte er die Monofunktionalität dieser Großwohnsiedlungen in der Peripherie von Paris; er verkündete die Vision einer erneuerten lebendigen Stadt.

So könnte man Lefebvres Begriff des Rechts auf Stadt verstehen. "Recht auf Stadt" sei ein:

- Recht auf Zentralität

- Recht auf Differenz

- Recht auf den Zugang zu den Möglichkeiten und Qualitäten der Stadt

- Recht auf das städtische Leben, transformiert, erneuert

- Recht auf eine bürgerliche Macht

- Recht auf die Selbstverwaltung (Autogestion) und Kritik der „passiven“ Beteiligung

(vgl. Henri Lefebvre, Le Droit à la Ville, 1968)

Anderes Land, andere Zeiten, andere Probleme.


Dass die Bürger sich aber heute das Recht aneignen, die Zukunft ihrer Stadt mitbestimmen zu dürfen, ist für unsere Stadt Jena eine ganz neue Ausrichtung: Wir mischen uns in der Stadtentwicklungspolitik ein, nutzen den öffentlichen Raum und fragen: „Was ist dein Recht auf Stadt?“.

Am 1. Juli 2014 fand der ersten "Recht auf Stadt"-Aktionstag in Jena statt. Am 1. Juli 2015 fand ein "Recht auf Stadt"-Spaziergang im Rahmen der Stadt-Raum-Festival. Zwischendurch wurden Filme gezeigt, viel diskutiert und ein bisschen demonstriert. Kontakt: statt@riseup.net