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Die Stadt gehört allen (Text)

Aus Recht auf Stadt, Plattform fuer stadtpolitisch Aktive

Aus: Wohnbund Informationen II+III 2011 "Urbane Zukünfte", Autor: nbo; eine knappe Bestandsaufnahme zur Zukunft der Stadt, basierend auf Diskussionen und Erfahrungen im Hamburger Netzwerk Recht auf Stadt


Die Stadt ist zugleich Versprechen und Zumutung. Ihr Grundversprechen ist seit jeher die Freiheit, ein eigenes Leben führen zu können – auch jenseits gesellschaftlicher Normen –, die Begegnung mit Menschen, die anders, interessant, ja verführerisch sind, und der Schutz vor Not und Bedrohung von außen. Die Stadt ist im besten Fall, um einen Begriff von Henri Lefebvre zu gebrauchen, „verdichtete Unterschiedlichkeit“, die jedem zu seinem Glück verhelfen kann. Die Nachkriegsmoderne hat der Stadt noch ein anderes, durchaus sozial gemeintes Versprechen gegeben: auf wachsenden materiellen Wohlstand, auf ein reibungsloses Funktionieren der Infrastruktur, auf eine Bändigung des urbanen Durcheinanders. Dass beide Versprechen in Konflikt geraten können, war so lange auszuhalten, wie sie sich in unterschiedlichen Stadträumen abbildeten: Freiheit und Selbstverwirklichung eher in inneren Stadtteilen, Wohlstand und Effizienz direkt im Zentrum und in äußeren Stadtteilen.

Der Neoliberalismus der vergangenen zwei Jahrzehnte markiert nun insofern einen Bruch, als er die Stadt zu einem Objekt macht, das – ebenso wie Unternehmen – im globalen Wettbewerb bestehen muss. Das Arrangement aus inneren und äußeren Stadtteilen mit ihren je eigenen Charakteren gilt nicht mehr. Die „neoliberale“ Stadt begreift sich nun als ein einheitliches Markenprodukt, das Investoren und Kunden anlocken muss. Dabei produziert sie vielfältige Zumutungen. Sie schreibt ganze Stadtteile zur Aufwertung aus, beschneidet den sozialen Wohnungsbau, um sich vermeintlicher Kosten zu entledigen, und beteiligt sich teilweise aktiv an der Vertreibung von Menschen aus Vierteln, die nicht mehr deren geplanter Funktion nützen. Als Allgemeinwohl gilt nun, was der Stadt als Marke zugute kommt, nicht, was ihren Bewohnern in ihren konkreten Bedürfnissen nutzt – diese werden nun mit medialer Hilfe als „Partikularinteressen“ diffamiert. Die Zonierung in Konsum-, Unterhaltungs- und Residenzquartiere – in der sich am ehesten eine Kontinuität zur Nachkriegsmoderne findet – flankiert sie mit Überwachung und Personenkontrollen. Und obendrein belästigt sie ihre Bewohner mit Spektakeln fast im Wochenrhythmus. Städtische Demokratie verkommt dabei zu einer urbanen „Postdemokratie“ (Colin Crouch), in der Bürger formal beteiligt werden, während sämtliche essentiellen Deals zwischen Politik und Immobilienwirtschaft hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Stadt wird zum Raum, in dem der Neoliberalismus sich quasi „direkt vor der Haustür“ manifestiert.

Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass sich in den letzten Jahren in immer mehr Städten Widerstand regt, der auch theoretisch das Urbane thematisiert, so etwa die „Recht auf Stadt“-Netzwerke in Hamburg, Freiburg und München oder das "Wir bleiben alle"-Bündnis in Berlin. Zwar sind die verschiedenen städtischen Bewegungen recht heterogen, doch kristallisieren sich allmählich Ansätze für eine künftige Stadtentwicklung heraus, die einen Bruch mit den derzeitigen Verhältnissen bedeuten und zugleich an andere Entwicklungen anschließen.

1. Wohnraum ist keine Ware

Dass Mieten immerzu steigen, und zwar stärker als die Inflationsrate und erst recht stärker als Löhne, ist kein Naturgesetz. Dazu tragen zum Beispiel qualifizierte Mietspiegel bei, die keine Bestandsmieten berücksichtigen, sondern nur Mieten aus Neuvermietungen oder nach Mieterhöhungen. Mietspiegel sind so gewissermaßen die Lizenz zu weiteren Mieterhöhungen, die auch prompt nach Veröffentlichung erfolgen. In Hamburg etwa beteiligt sich selbst die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG an diesem Spiel. Das Problem steigender Mieten ließe sich in einem ersten Schritt lindern, wenn die Berechnungsgrundlage für Mietenspiegel entsprechend geändert wird. Auch soziale Erhaltungsverordnungen, die Mieterhöhungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen nach Modernisierung für einige Jahre unterbinden, können den Druck etwas mindern. Langfristig muss sich jedoch die Erkenntnis durchsetzen, dass Wohnraum keine Ware wie jede andere ist, sondern ein elementares Recht, ohne dessen Durchsetzung die urbane Segregation gefördert wird, die letztlich mit zu Unruhen wie jüngst in Großbritannien führt. Ein wichtiger Schritt ist deshalb eine flächendeckende Mietpreisbindung, die es im Europa der Nachkriegszeit aufgrund von Wohnungsmangel bereits gegeben hatte. Langfristig muss jedoch eine Vergesellschaftung von Wohnraum in Angriff genommen werden. Die wird längst nicht mehr als klassische Verstaatlichung diskutiert, sondern eher in Richtung des so genannten Gemeineigentums – früher als Allmende bezeichnet, im Englischen als „Commons“. Wohnraum würde damit an die Commons-Bewegung angeschlossen, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnt und sich bislang auf Software, kulturelle Erzeugnisse und Biodiversität konzentriert. Eine Vergesellschaftung von Wohnraum wäre im Übrigen mit dem Grundgesetz (Art. 14 und 15) vereinbar.

2. Wir planen alle

Stadtplanung war lange Zeit kein Thema, dass Bürger in Scharen auf die Barrikaden trieb. Das ist vorbei: In nahezu allen Großstädten mehren sich die Proteste, die klassische Planungsvorhaben kritisieren, in denen die Bewohner bestenfalls in Workshops oder an Runden Tischen nachvollziehen dürfen, was Verwaltung und potenzielle Investoren konzeptionell vorgedacht haben. In diesen Protesten nur das St. Floriansprinzip zu sehen, wäre verfehlt. Anwohner von Entwicklungsprojekten machen Verwaltung und Stadtplanern schlicht ihre Expertenstellung streitig. Die neue Leitlinie heißt: Jede Planung fängt bei den Anwohnern an. Statt Partizipation gilt „Autogestion“, was sich ungefähr mit Selbstverwaltung oder Selbstbestimmung übersetzen ließe. Die kann konkret unterschiedliche Formen annehmen, von Quartiersversammlungen bis zu „Wunschproduktionen“ (wie in den 1990er Jahren in Hamburg im Projekt Park Fiction durchgeführt). Autogestion bedeutet auch: Städtische Behörden müssen völlig transparent arbeiten und sind gegenüber den Bürgern jederzeit rechenschaftspflichtig – nicht-öffentliche Absprachen und Vorgänge gehören der Vergangenheit an.

3. Die Rückkehr der Produktion in die Stadt

Der Neoliberalismus mit seiner Vorliebe für Dienstleistungen und Hochtechnologien hat in vielen westlichen Ländern eine erhebliche Deindustrialisierung gefördert – eine Entwicklung, die Daniel Bell bereits 1973 in seinem Buch „Die postindustrielle Gesellschaft“ recht hellsichtig skizziert hatte. Dass es sich um eine Fehlentwicklung handelt, zeigt der Bauwahn bei innerstädtischen Bürogebäuden, für die es so längst keine Nachfrage mehr gibt. So stehen allein in Hamburg 1,4 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer, die sich für die Eigentümer dank Abschreibungsregeln dennoch rechnen. Die industrielle Produktion ist indes aus den Innenstädten ins städtische Umland gewandert, wenn nicht weiter in Schwellenländer. Diese globale Arbeitsteilung mag noch funktionieren, solange die Weltwirtschaft rund läuft. Sollte sie jedoch ins Stocken geraten, wenn die seit 2008 andauernde Finanzkrise sich zu einer weltweiten Depression auswächst, werden dies gerade die Städte zu spüren bekommen, die vor allem auf Dienstleistungen und Handel gesetzt haben. Dank neuer, kleinteiligerer computergesteuerter Fertigungsverfahren könnte in den kommenden Jahren ein Teil der Produktion wieder in die Städte zurückkehren und auch diejenigen zu Produzenten machen, die bislang nur Konsumenten sind. Diese Rückkehr zu fördern, ist allemal sinnvoller, als in absurd teure Leuchtturmprojekte zu investieren, die noch dem neoliberalen Denken von der Stadt als Marke verhaftet sind. Denn Nachhaltigkeit, dieses ungeliebte, weil schwer greifbare Konzept, meint immer auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

4. Ökologie sozial gedacht

Klimawandel und Ressourcenknappheit, lange als Hypothesen gehandelt, sind heute als zwei der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft unumstritten. Gelöst werden müssen sie vor allem in den Städten, in denen in immer mehr Ländern die Mehrheit der Menschen Energie und Waren konsumiert. Sie läuten unter anderem das Ende der autogerechten Pendlerstadt ein, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, hin zur Stadt der kurzen Wege. Die bedeutet auch Nachverdichtung. Allerdings nur mit Verstand: Weder dürfen Städte ihre Grünflächen opfern, wollen sie nicht den Urban Heat Island Effect fördern, noch dürfen sie ökologisches Bauen zum Prestigeobjekt für Gutbetuchte machen. Ebenso wäre es fatal, die Kosten für die energetische Sanierung von älteren Gebäuden allein auf Mieter abzuwälzen – sie hätte eine „grüne Turbo-Gentrifizierung“ zur Folge. Wie heutige Stadtentwicklung Nachhaltigkeit missversteht, zeigt die Hamburger Hafencity: Zwar genügen die Neubauten den Standards für ökologisches Bauen, doch von der Verkehrsstruktur ist sie noch ganz aufs Auto fixiert, wie der Hamburger Zukunftsrat 2010 in seinem Nachhaltigkeitsgutachten feststellte. Und es ist wohl auch der Kritik dieses Gutachtens zu verdanken, wenn für die Osterweiterung der Hafencity nun doch Sozialwohnungen vorgesehen sind.

Die urbane Zukunft wird nicht die vorsichtige Korrektur des Status quo sein können. Was not tut, ist eine „urbane Revolution“ (Henri Lefebvre), die eine Stadt entstehen lässt, die Unterschiedlichkeit fördert, neue Formen der Demokratie einführt sowie wirtschaftlich, ökologisch und sozial gleichermaßen nachhaltig ist – kurz: eine Stadt, die allen gehört.