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Recht auf Stadt (Hamburg)

Aus Recht auf Stadt, Plattform fuer stadtpolitisch Aktive

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RECHT AUF STADT (RaS) ist eine im Sommer 2009 entstandene Vernetzung von Hamburger Initiativen für das Recht auf Stadt für alle Einwohner/innen.

RaS kämpft für eine grundsätzlich andere: soziale, gerechte, demokratische Stadt – und gegen Gentrifizierung und die fortschreitende Privatisierung von Stadt und städtischem Raum im Namen von Profitmaximierung und Metropolenwettbewerb.

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Chronik von RaS

Die nachfolgenden Abschnitte wurden zuerst auf Indymedia veröffentlicht.[1]

Sommer 2009: Empire St. Pauli

Bereits 2008 hatte es erste Ansätze gegeben, die Thematik der Gentrifizierung und damit verbundene Vertreibungsprozesse von AnwohnerInnen aufzuwerfen. Aus der Vorbereitungsgruppe eines Straßenfestes in St. Pauli war nach dem April 2008 das Aktionsnetzwerk gegen Gentrification „Es regnet Kaviar“ entstanden. Zur selben Zeit begann eine Handvoll Menschen im Schanzenviertel mit der Gründung eines „autonomen Nachbarschaftstreffs“, der als „Kontrapunkt zur Gentrifizierung“ wirken sollte – dem Centro Sociale.

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Im Sommer 2009 erfuhr die Thematik dann v.a. durch den Film Empire St. Pauli eine enorme Verbreitung in Hamburg. Der Dokumentarfilm von Irene Bude und Olaf Sobczak beleuchtet die Umbrüche in der Stadtteilstruktur St. Paulis und lässt die AnwohnerInnen des Viertels ebenso zu Wort kommen wie Investoren oder Bezirksamtsleiter. Gezeigt werden die konkreten Auswirkungen der Prozesse in Form von Mietsteigerungen, der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, oder – wie es ein Anwohner im Film ausdrückt: „Die Leute raus – Mieten hoch – Bumm – ganz normal Kapitalismus oder wie sagt man“. Seit Ende April wurde der Film allein in Hamburg über 50 Mal öffentlich gezeigt. Teilweise kam es im Anschluss zu spontanen Demonstrationen, so am 14. Juli nach einer Aufführung im Park Fiction.

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Die ersten Ansätze von Anti-Gentrifizierungsprotesten kamen schließlich am 13. Juni zu einer ersten Parade zusammen. Unter dem Motto "Die Stadt gehört allen" zogen an die 2.000 Menschen gegen Mieterhöhungen, Privatisierungen und Vertreibung von der Innenstadt nach St. Pauli. Am 20./21. Juni wurde sich im Rahmen von Workshops und Diskussionen in den Räumen des Centro Sociale inhaltlich mit der Thematik „Recht auf Stadt“ beschäftigt. Das Konzept „Recht auf Stadt" geht auf den französischen Stadtsoziologen Henri Lefèbvre zurück, der den Begriff in seinem Buch „Le droit à la ville“ 1968 entwickelte. Das dreitägige Veranstaltungsprogramm vom 19. bis 21.6. blieb jedoch weitgehend von der breiten Öffentlichkeit unbeachtet.


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Demo am 13. Juni 2009: "Die Stadt gehört allen"

22.August 2009: Komm in die Gänge

Den Auftakt für einen Herbst der Initiativen bildete die Besetzung mehrerer Häuser im Gängeviertel durch über 200 KünstlerInnen und AktivistInnen am 22. August. In die alten, größtenteils seit Jahren leer stehenden 12 Häuser mitten in Hamburgs Innenstadt wurde für diesen Sonnabend unter dem Motto „Komm in die Gänge“ und mit einem überall plakatierten roten Punkt als Logo zu einem Fest eingeladen, das faktisch eine Besetzung einleiten sollte.

In dem ehemals dicht besiedelten Viertel lebten von Mitte des 17. Jahrhunderts bis etwa 1930 vor allem Hafen- und Gelegenheitsarbeiter mit ihren Familien, in der Weimarer Republik wurde das Viertel aufgrund der politischen Einstellung seiner BewohnerInnen als „Klein Moskau“ bezeichnet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden große Teile des Viertels systematisch abgerissen. In den letzten Jahren herrschte dann Leerstand vor. Anstatt die Häuser zu sanieren, wurden sie von der Finanzbehörde schließlich im Höchstgebotsverfahren verkauft. Mehrere Jahre versuchte ein Investor vergeblich, genehmigungsfähige Bauanträge für die Sanierung einzureichen und zog sich schließlich 2007 mit dem Verlust von ca. 3 Mio. Planungskosten zurück.

Der holländische Investor Hanzevast bekam 2008 von der Stadt den Kaufzuschlag für das Gängeviertel. Allen bisherigen MieterInnen wurde gekündigt. Im Rahmen des Grundstücksverkaufes wurde im September 2008 ein städtebaulicher Vertrag abgeschlossen, der statt einer denkmalgerechten Sanierung der Gebäude den Verlust von geschätzten 80 Prozent der historischen Substanz bedeutet hätte. Laut offizieller Planung sollte im Sommer 2009 mit den Sanierungs- und Abrissarbeiten begonnen werden. Auch Hanzevast war jedoch von der Finanzkrise betroffen und begann offiziell nach einem Co-Investor zu suchen.


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Besetzung des Gängeviertels durch die Initiative "Komm in die Gänge" ab dem 22. August 2009

In diese Situation platzte die Besetzung durch die KünstlerInnen medial wie eine Bombe. Dabei standen zwei Aspekte im Vordergrund: Zum einen die Rettung des historischen Gängeviertels vor dem Verfall, der Erhalt der alten Häuser – ein Anliegen, das auch zahlreiche ältere, eher konservativ eingestellte HamburgerInnen bewegte und in Scharen Touristen anzog. Zum anderen wurde Raum für Künstler in Hamburg eingefordert, ein Mitglied der Initiative forderte gegenüber der Presse: „Wir erwarten, dass die Künstler akzeptiert werden, das man sich kümmert. Und nicht, dass die Stadt sich als Kulturstadt verkauft, aber nichts passiert.“ (taz, 23.08.2009) Und: „Es kann nicht sein, dass die Stadt sich immerzu damit brüstet, eine Kultur-Hochburg zu sein, aber nichts dafür tut!“ (Art-Magazin, 24.08.2009). Gefordert wurden Produktionsflächen für Hamburgs KünstlerInnen und Kreative, zudem wurde darauf hingewiesen, dass „das kreative Potenzial der Stadt“ aufgrund fehlender preiswerter Atelierräume immer stärker in Städte wie Berlin abwandere.

Tausende strömten zu den Performances, Konzerten und Ausstellungen, die von der Initiative initiiert wurden. Daniel Richter, berühmter Hamburger Künstler, stellte die Aktion unter seine „Schirmherrschaft“. Mit dem Anliegen des Erhalts alter Häuser konnten sich auch bürgerliche Kreise identifizieren, so stimmten auch der Verein für Hamburgische Geschichte und die Patriotische Gesellschaft von 1765 in die Kritik an der städtischen Politik mit ein. Die Polizei weigerte sich, von einer Besetzung zu sprechen, zwei Tage nach der Auftaktaktion verschlossen SAGA und Sprinkenhof AG – die städtischen Gesellschaften, die die Häuser verwalteten – jedoch zunächst zwei Gebäude. Mit einem eigenen Nutzungskonzept suchten die KünstlerInnen den Dialog mit der Stadt, deren Kulturbehörde aufgeschlossen reagierte.

Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) verkündete, den KünstlerInnen noch im August 30 Räume zur Verfügung stellen zu wollen, Ateliers in der Speicherstadt (Hafencity) wurden angeboten. Auch Markus Schreiber (SPD), Leiter des Bezirksamts Mitte, erklärte begeistert: „Das sind die rechtstreuesten Besetzer, die man sich vorstellen kann. Die machen alles sauber, sorgen ab 22 Uhr für Ruhe - und ihr Anliegen, die historischen Häuser zu erhalten, hat meine volle Sympathie.“ Eine Nutzung der Gänge-Häuser wurde seitens der Stadt jedoch zunächst ausgeschlossen: „Wir haben eine rechtsgültige Vertragslage und der Investor hat sich verpflichtet aufgrund des Vertrages bestimmte Baumaßnahmen durchzuführen.“ (Finanzstaatsrat Heller, in: Mopo, 25.08.2009)


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Hausfassaden rund ums Gängeviertel im September 2009

Eine Vereinbarung zwischen Stadt und KünstlerInnen wenige Tage nach der Besetzung legalisierte diese faktisch, den KünstlerInnen wurde zugestanden, die Erdgeschossflächen nutzen zu dürfen – für diese ein „fairer Kompromiss“ (Hamburger Abendblatt, 26.08.2009). In einer Bürgerschaftssitzung, die sich mit dem Thema beschäftigte, waren sich alle Fraktionen darin einig, dass sowohl die Gebäude erhalten als auch den KünstlerInnen Raum zur Verfügung gestellt werden müsse. Die Hamburger Morgenpost versuchte sich an Erklärungen für das städtische Entgegenkommen: „Sie tragen kein Schwarz und stellen offenbar auch nicht das politische System infrage. Vielleicht ist das der Grund, warum Senat und Parteien die Künstler so einhellig lieb haben, die seit Sonnabend mehrere leerstehende Häuser des Gängeviertels besetzen.“ (Mopo, 27.08.2009)

Der wahre Grund für die schnellen und positiven Reaktionen der Stadt dürfte dagegen in dem Imageschaden zu suchen sein, den der KünstlerInnenprotest der „Marke Hamburg“ bereitet hatte – nämlich dem Vorwurf, eine kulturvergessene Stadt zu sein. Ein Vorwurf, der angesichts der globalen Städtekonkurrenz in Zeiten der Globalisierung und der Bedeutung des kulturellen Faktors in diesem Wettbewerb schwer wog. Wie begehrt der „kreative Faktor“ im Städtewettbewerb ist, zeigte sich im September daran, dass die Stadt Leipzig den Hamburger KünstlerInnen großzügig „Asyl“ anbot.

Aber inzwischen wollte Hamburg „seine“ Kreativen doch selbst behalten. Einziges Problem: der Investor, dem das Bezirksamt sogar die Baugenehmigung bereits erteilt hatte. Spekuliert wurde darauf, dass dieser aufgrund seiner Finanznöte nicht in der Lage sein würde, innerhalb von 14 Tagen die fällige zweite Rate von 2,7 Mio. Euro zu bezahlen – ein Fall, in dem das Gelände zurück an die Stadt fallen würde. Am 8. September einigten sich Stadt und Initiative auf eine vorübergehende Teilnutzungsvereinbarung für die Zeit, bis der Investor mit den Bauarbeiten beginnen oder die Immobilie an die Stadt zurückfallen würde.

Nachdem Hanzevast die 14-Tage-Frist hatte verstreichen lassen, wurde diese von der Stadt noch einmal bis zum 16. Oktober verlängert, jedoch verbunden mit der Ankündigung, im Falle einer Nicht-Zahlung den Vertrag zu kündigen. Die Initiative legte wenige Tage vor diesem Termin ein eigenes Nutzungskonzept vor, das eine Neubelebung des Areals als öffentlicher Raum „ohne Konsumzwang“ auf Basis der „Selbstverwaltung“ vorsah. 60% der Fläche solle für Wohnen, 20% für gewerbliche Zwecke genutzt werden, außerdem solle ein soziokulturelles Zentrum geschaffen werden.

Der Investor Hanzevast ließ sich bis zum letzten Tag Zeit – doch er zahlte. Und sollte nun fünf Monate Zeit haben, die dritte Rate zu zahlen und mit den Bauarbeiten zu beginnen. Gerüchte, das Geld stamme vom Besitzer der Roten Flora, Klausmartin Kretschmer, oder einem bayerischen Brauereiunternehmen, bestätigten sich nicht. Der Investor spekulierte vielmehr auf Schadensersatzforderungen. Die Initiative erklärte dagegen zu bleiben und forderte die Offenlegung der Verträge. Am 24. Oktober fand eine rote Lichterkette von über tausend Menschen rund um die Häuser statt. Ein vom Bezirksamtsleiter Schreiber (SPD) initiierter Runder Tisch mit allen Beteiligten war einen Tag zuvor an der Unwilligkeit des schwarz-grünen Senats geplatzt. Das Abendblatt kommentierte: „Peinliches Schauspiel“ und forderte Bürgermeister Ole von Beust auf, „die Fäden in die Hand“ zu nehmen (23.10.2009).

In der Presse wurde von internen Auseinandersetzungen zwischen Finanz- und Kulturbehörde berichtet. Zeitgleich äußerte sich der Investor zum ersten Mal öffentlich, kündigte eine weitere fristgerechte Zahlung an und forderte die Räumung der Häuser (Welt, 24.10.2009). Um dem Investor entgegenzukommen, bot die Stadt der Initiative die Nutzung der Obergeschosse (weitere 6.000 qm Fläche) an, wenn sie die beiden von der Sprinkenhof AG verwalteten Häuser „Druckerei“ und „Fabrik“ räumen würden – ein Angebot, auf das sich die Initiative nach langen internen Diskussionen einließ. Betont wurde aber, dass dieses „Zugeständnis“ kein Rückzug sei, sondern nur dazu diene, zu verhindern, „dass durch Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe von Hanzevast unnötig Steuergelder verschwendet werden“ (NDR, 26.10.2009). Gleichzeitig wurden die Rückabwicklung der Verträge und der Rücktritt von Finanzsenator Freytag (CDU) gefordert. Am Tag des Umzugs zahlte Hanzevast auch die dritte Rate.

Nach längerer Unklarheit über das weitere Vorgehen der Stadt, kündigte diese schließlich an, entweder mit Hanzevast das Viertel als Künstlerquartier zu entwickeln oder die Gebäude zurückkaufen zu wollen. Stadtentwicklungssenatorin Hajduk (GAL) kündigte an, in Sachen Gängeviertel zukünftig federführend zu agieren und ein neues städtebauliches Konzept zu erarbeiten – aus Sicht der KünstlerInnen ein erster „Teilerfolg“. In der Bürgerschaft wurde das Gängeviertel – wie die Stadtentwicklungspolitik allgemein – erneut zum Thema, und selbst CDU-Abgeordnete drohten: „Wenn Hanzevast jetzt nicht die ausgestreckte Hand ergreift und zu konstruktiven Gesprächen bereit ist, ist unsere Geduld bald am Ende“ (Welt, 05.11.2009). Anfang November hieß es in der Presse, der Investor wäre gegen eine Entschädigung von 4 Mio. Euro zum Rückkauf der Häuser bereit.


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Kundgebung von "Komm in die Gänge" und "No BNQ" in der Mönckebergstraße am 11. November 2009

Für den 11. November luden die Initiativen „Komm in die Gänge“ und „No BNQ“ zu einer Kundgebung in die Innenstadt – der erste sichtbare Ausdruck des „Recht auf Stadt“-Netzwerks, das sich im September aus etwa 20 städtischen Initiativen gegründet hatte. Rund 300 Menschen protestierten mit Laternen und Kerzen, als die Nachricht eintraf, dass die Stadt kurz vor dem Rückkauf der Häuser stehe. (Am selben Tag wurde auch das Audimax der Hamburger Universität besetzt.) 150 Architekten, Ingenieure und Stadtplaner hatten sich am Tag zuvor mit einem Offenen Brief an den Senat gewandt, um mehr Räume für Kulturschaffende einzufordern und die Stadtentwicklungspolitik zu kritisieren.

Am 15. Dezember 2009 kam es schließlich zur Einigung zwischen Stadt und Investor. Die ausgehandelte Rückabwicklung der Verträge sollte die Stadt 2,8 Mio. Euro kosten (neben dem ebenfalls zurück zu erstattenden Kaufpreis). Die taz jubelte: „Kunst siegt über Kommerz“ (taz, 15.12.2009). Was mit den Häusern nach dem Platzen der Investorenpläne jedoch passieren sollte, blieb zunächst offen. Stadtentwicklungssenatorin Hajduk kündigte ein städtebauliches Konzept und Nutzungsgespräche zwischen Januar und März mit den Künstlern an. Kultursenatorin v. Welck verkündete: „Selbstverständlich werden wir bei den weiteren Planungen die Vorstellungen der Künstler einbeziehen. Unser Ziel ist es, das Gängeviertel zu einem lebendigen, kreativen innerstädtischen Quartier weiterzuentwickeln“ (MOPO, 15.12.2009).

Zwischen Weihnachten und Silvester wurden zunächst ohne Einigung mit der Stadt die im Oktober geräumten Gebäude „Druckerei“ und „Fabrik“ wieder besetzt, am 30. Dezember wurden daraufhin kurzfristige Nutzungsverträge ausgestellt. Mit einer riesigen Silvesterparty in den beiden Gebäuden ging das Jahr 2009 zuende. Aktuell laufen die Verhandlungen mit der Behörde für Stadt- und Umweltentwicklung (BSU), die Stadt will am 31. März bekannt geben, wie die weitere Zukunft des Gängeviertels aussehen soll.

Hoffen wir, dass die KünstlerInnen, Aktiven und Kreativen dafür sorgen, dass die Vision der FAZ nicht in Erfüllung geht: „Diejenigen unter den Künstlern, die ihren Richard Florida gelesen haben, werden schon wissen, dass ihre Rolle am Ende die des Düngers ist, um den Boden für andere zu bereiten. Vielleicht wird eine Weile lang sogenannte Soziokultur im Gängeviertel betrieben werden, mit all der Folklore, die so etwas mit sich bringt. Vielleicht werden irgendwann Rechtsanwälte die Ateliers beziehen und ein H&M die Galerieräume. Vielleicht wird von ganz alleine passieren, was Hanzevast am Reißbrett geplant hatte. Vielleicht. Oder sogar ziemlich sicher. Aber so ist es in jeder Hinsicht ökologischer. Und es sieht besser aus.“ (FAZ, 18.12.2009)

September 2009: Centro Sociale bleibt!

Zwischen dem Schanzen- und Karoviertel gelegen, existiert seit Ende 2008 das Centro Sociale in der Sternstraße 2. Das Centro Sociale versteht sich als autonomer Nachbarschaftstreff – bunt, offen und vielfältig. Das denkmalgeschützte Backsteinhaus mit seinen rund 500 Quadratmeter gehört der Stadt und wird von der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft (steg) verwaltet. Bis Ende 2009 existierte ein Mietvertrag mit der Lerchenhof Handwerksgenossenschaft, die wiederum einen Untermietvertrag mit dem Centro Sociale vereinbart hatte. Da die Stadt das Gebäude jedoch nicht einfach so den GentrifizierungskritikerInnen überlassen wollte, initiierte die steg durch das Fachamt Stadtplanung im Bezirk Mitte in Form eines Projektaufrufs einen Wettbewerb um die Räume in der Sternstr. 2, bei dem die Bewerber makabererweise ein Nutzungs- und Betreibekonzept für einen „nachbarschaftlichen, nichtkommerziellen Stadtteiltreff“ abliefern sollen.


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Walzerparade und Solidarität mit dem Centro Sociale (Rote Flora, Millerntorstadion) im September 2009

Als Reaktion darauf entstand seit Juli/August 2009 rund um das Centro Sociale eine Solidaritätskampagne. AnwohnerInnen ließen sich mit einem überdimensionalen Daumen aus Pappe für die Aktion „Daumen hoch für`s Centro Sociale“ fotografieren, Anfang September wurde im benachbarten Knust eine Unterstützungskonzert veranstaltet und Gewerbetreibende und Initiativen gaben Referenzschreiben für den selbstverwalteten Nachbarschaftstreff ab. Den Höhepunkt bildete sicherlich die Walzerparade am 10. September. Etwa 300 UnterstützerInnen zogen walzertanzend durch das Hamburger Schanzenviertel und sorgten mit dieser neuen Protestform für erhebliche Aufmerksamkeit.


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Walzerparade des Centro Sociale am 10. September 2009

Während die STEG behauptete, dass es jede Menge Bewerber für die Räumlichkeiten gäbe, warfen schließlich nur drei andere Einrichtungen ihren Hut in den Ring. Alsterarbeit, als Teil der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, zog ihre Bewerbung schnell wieder zurück. Es verbleiben mit dem Beschäftigungsträger Arinet und der Pferdestall Kultur GmbH zwei Bewerber. Über die Pferdestall Kultur GmbH hieß es in der zweiten Ausgabe des Stadtteil- & Fußballmagazins Supra: „Im Januar 2001 trat erstmals eine Gruppe als Pferdestall Kulturkombinat zur Studierendenparlamentswahl an, die als Ziel erklärte, im glasüberdachten Innenhof des Pferdestalls am Allende-Platz einen ‚netten Studentenclub’ zu eröffnen. Über Jahre versuchte man dieses Projekt im Kulturreferat des grünen AStA voranzutreiben. Schließlich wurde 2003 die Pferdestall GmbH gegründet.

„Dass die Anteilseigner dieser GmbH zu diesem Zeitpunkt bezahlte Angestellte des AStA waren und so selbst entscheiden konnten, wieviel Geld ihre Firma erhalten soll, ist ein moralisches Verbrechen. Dass dafür aber studentische Gelder in Höhe von mehr als 100.000 Euro zweckentfremdet und damit veruntreut wurden, ist ein tatsächlicher“, meinte 2004 der Vorsitzende der Jungen Union Ulf Teuber und verklagte den AStA.“ Erst ein neuer linker AStA löste die Verbindung zwischen AStA und GmbH auf. Inzwischen bespielt die Pferdestall Kultur GmbH, die immer noch durch die Uni Marketing GmbH finanziell mitgetragen wird, viele Clubs in Hamburg, so auch über „Vier Etagen hoch Kultur“ (Flora-Erklärung vom Mai 2006) im Haus 73 direkt neben der Roten Flora.

Die eigentlich auf den 11. September angesetzte Entscheidung der Jury wurde kurzfristig noch auf den Oktober verschoben. Doch auch das wachsende kommerzielle Party-Imperium Pferdestall Kultur GmbH musste sich am Ende geschlagen geben. Am 5. November bekam das Centro Sociale schließlich den Zuschlag für die Sternstraße 2.

12. September 2009: Schanzenfest Reloaded

Das Schanzenviertel gehört zu den Stadtteilen Hamburgs, an denen sich der Gentrifizierungsprozess am offensichtlichsten zeigt und am weitesten fortgeschritten ist. Während in den 1980er Jahren v.a. Arbeiter, aber wegen der niedrigen Mieten bereits auch einige Studenten im Viertel lebten, siedelte sich in den 90er Jahren eine neue Klientel an, die Besetzung der Roten Flora 1989 im Schulterblatt brachte die alternative und linke Szene ins Viertel, kleine Läden und Gastronomiebetriebe entstanden.

Die Vorreiterrolle dieses linksalternativen Milieus im Gentrifizierungsprozess des Schanzenviertels ist mittlerweile passé (diese Funktion kommt ihm inzwischen im südlich der Elbe gelegenen Wilhelmsburg zu). Mittlerweile drängen immer schickere Läden und Ketten in die frei werdende Gewerbeflächen im Viertel, die Mietpreise explodieren und das Schulterblatt ist mit seinen zahlreichen Cafés und Bars zu einer „riesige(n) Vergnügungsmeile“ (Mopo, 30.04.09) geworden. In den letzten zwei Jahren hat dieser Prozess eine neue Stufe erreicht und dazu geführt, dass Kritik an dieser Entwicklung nicht mehr nur aus der autonomen Szene um die Rote Flora formuliert wurde, sondern zunehmend auch von alt eingesessenen AnwohnerInnen.


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Störung des Runden Tisches im April, Schanzenfest im Juli 2009

Zu einem Höhepunkt des Konflikts um den Stadtteil sollten die zwei Schanzenviertelfeste am 4. Juli und 12. September werden. Nachdem das traditionell nicht angemeldete Fest auch 2008 von nächtlichen Ausschreitungen und polizeilichen Wasserwerferaufmärschen begleitet worden war, hatte Innensenator Ahlhaus (CDU) für 2009 einen „Runden Tisch“ mit dem Bezirksamt Altona, der Innenbehörde, Polizei und AnwohnerInnen angekündigt.

Die für den 15. April geplante erste Sitzung dieses Runden Tisches scheiterte jedoch am Unwillen letzterer: „Eine halbe Stunde lang haben sich die Teilnehmer des Runden Tisches zur Ausrichtung des Schanzenfestes am Mittwochabend bepöbeln, mit Papier bewerfen, verhöhnen und mit Wasser bespritzen lassen. Dann wurde die unwürdige Veranstaltung im Jesus-Zentrum (…) beendet, ohne dass auch nur ein Wort über das eigentliche Thema, das für September geplante Schanzenfest, gesagt worden war. Der Bezirksamtsleiter zog ab – unter dem Gejohle der Störer, die auf Tischen und Stühlen standen, Plakate entfaltet und Mineralwasser literweise verschüttet hatten.“ (Die Welt, 15.04.09) In einer Erklärung hatte die Rote Flora eine Beteiligung am Runden Tisch und damit am Vorhaben, „ein von Gruppen und Initiativen aus dem Stadtteil seit Jahren erfolgreich organisiertes Fest in einen behördlich-polizeilich überwachten Kommerzevent umwandeln zu lassen“ entschieden abgelehnt.

Wohl auch aufgrund dieser politischen Befriedungs- und Integrationsstrategie im Vorfeld wurde das Schanzenfest auf den 4. Juli vorverlegt und u.a. mit einer Videobotschaft im Internet mobilisiert. Das für das Fest zuständige Bezirksamt Altona verkündete im Vorfeld, das Fest auch ohne formelle Anmeldung dulden zu wollen – eine sogenannte „qualifizierte Duldung“. Die Linie von Innensenator Ahlhaus, ein unangemeldetes Fest und damit „rechtsfreie Räume“ 2009 nicht zu akzeptieren, war damit gescheitert. Eine Woche vor dem Fest kam es jedoch zu einer ersten polizeilichen Übung, als die Polizei nach einem Demonstrationszug gegen „Yuppisierung“ und die Schließung einer Kneipe in der Paul-Roosen-Straße etwa 250 Punks angriff und dabei mehrere Menschen verletzte.

Am Tag selbst feierten zunächst mehrere tausend Menschen auf dem Fest – u.a. war ein leerstehendes Gebäude in der Rosenhofstraße besetzt worden –, als am frühen Abend die Polizei massiv aufzog und mit Wasserwerfern und Knüppeleinheiten die Kreuzung am Schulterblatt zu räumen begann. Die daraufhin einsetzenden Krawalle, Barrikadenbauten und Scharmützel zwischen Festbesuchern (von jungen „Black Bloc“-Kiddies bis hin zu betrunkenen Schanzen-Yuppies) und der Polizei weiteten sich auf die ganze Schanze aus. Vor dem Polizeirevier Lerchenwache ging ein Streifenwagen in Flammen auf, laut Taz wurden 85 Personen vorübergehend festgenommen.

Gegen 2 Uhr griff eine BFE-Einheit die St. Pauli-Fankneipe „Jolly Roger“ an, in der zu dem Zeitpunkt etwa 100 Gäste eine Geburtstagsparty feierten. Bei dem offensichtlichen Racheakt der Polizei wurde Pfefferspray von außen in die Gaststätte gesprüht, durch Wasserwerfereinsatz von der Straße wurden Menschen am Verlassen des Lokals gehindert und einem Journalisten wurden vier Zähne ausgeschlagen. Als Antwort auf dieses brutale Vorgehen kam es am 10. Juli im Anschluss an ein Spiel des FC St. Pauli zu einer großen Demonstration gegen Polizeigewalt, an der rund 2.600 Menschen teilnahmen. Während Innensenator Ahlhaus im Anschluss an das Fest das „entschlossene Einschreiten“ lobte, kritisierte die mitregierende GAL den „Unruhe“ erzeugenden Polizeieinsatz.


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Hausbesetzung in der Rosenhofstraße, Schanzenfest im Juli 2009

Bereits wenige Tage nach dem Fest kündigten die OrganisatorInnen ein zweites Schanzenfest für den 12. September an – als „deutliche Antwort auf die Ereignisse“. Die Presse kommentierte: „Die Ankündigung: Ein Albtraum für die sonst so kuschelig auftretende schwarz-grüne Koalition. Denn nun prallen offen die Welten im innenpolitischen Bereich aufeinander.“ (Mopo, 10.07.09) In einer Erklärung forderten im Juli über 20 Geschäftsleuten aus der Schanze Stadt und Bezirk auf, zu einer „Politik mit Augenmaß zurückzukehren“ und die Schanze „feiern zu lassen“. So kritisierte Bäckermeister Norbert Stenzel (67): „Die sind viel zu früh reinmarschiert, da müssen sie sich nicht wundern, wenn sie jetzt das ganze Viertel gegen sich haben.“ (Mopo, 16.07.09)

Im Vorfeld des zweiten Festes schalteten sich auch die Neonazis an, die NPD verkündete, einen Tag vor dem Schanzenfest für ein Verbot des Festes in der Innenstadt zu demonstrieren. Auch wenn aus dem NPD-Aufmarsch letztlich nur eine kleine Kundgebung wurde, hatte die Ankündigung zu einer verstärkten Mobilisierung in der linken Szene geführt. Aber auch ein weiterer Faktor heizte die Stimmung im Vorfeld des Festes an: „Schon seit Tagen läuft in den Medien eine Kampagne gegen das nichtkommerzielle, links-alternative Fest. Eine Serie von Brandanschlägen auf Autos im ganzen Stadtgebiet wird unter Berufung auf Staatsschutzkreise direkt der Autonomen-Szene zugeschrieben und mit dem Fest in Verbindung gebracht.“ (taz, 09.09.09)

Nachdem die Polizei am Tag des zweiten Schanzenfestes zunächst Zurückhaltung übte, kam es in der Nacht schließlich doch noch zu Auseinandersetzungen, gegen 1.45 Uhr griffen etwa 200 Menschen die Lerchenwache an. Dieser Angriff diente der Polizei dann als Vorwand, das gesamte Fest aufzulösen, laut Presse wurde daraufhin u.a. ein Computergeschäft geplündert, sechs Autos gingen in Flammen auf, 47 Menschen wurden fest- und 20 in Gewahrsam genommen. Während die VeranstalterInnen des Festes und auch Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt die Ereignisse in der Öffentlichkeit verteidigten, sprach der Hamburger Verfassungschutz davon, dass „die Autonomen zu unfreiwilligen Opfern ihrer eigenen Krawall-Propaganda geworden“ wären (Mopo, 15.10.09).

30. September 2009: "Wird die Rote Flora verkauft?"

Während die nächtlichen Ereignisse während der Schanzenfeste starke Medienresonanz erfuhren – wobei weniger die Gentrifizierung, als vielmehr die „Gewaltfrage“ im Vordergrund stand –, war es bereits im April und verstärkt dann im September zu einer öffentlichen Infragestellung des Projekts Rote Flora gekommen. Damit sollte mittelfristig der Weg zum Verkauf dieses inzwischen geschätzte 7 Millionen Euro teuren Grundstücks freigemacht werden. Der offizielle Eigentümer des Gebäudes, Klausmartin Kretschmer, hatte „die Problem-Immobilie“ (Mopo, 30.09.09) im Frühjahr 2001 von der Stadt für 370.000 DM abgekauft und war vom damaligen Bürgermeister Runde (SPD) für sein „Mäzenatentum“ gelobt worden.

Die rapide Aufwertung des Viertels und das damit verbundene Ansteigen der Grundstückspreise haben mittlerweile dazu geführt, dass die Profitaussichten im Falle eines Verkaufs des Gebäudes einen Höhepunkt erreicht haben. Bereits im April 2009 äußerte Kretschmer in einem Interview seinen Unmut über die Entwicklung der Flora, die zu einem „Fremdkörper“ im Viertel geworden sei – anstatt sich mit „alternativen Geld- oder Wirtschaftssystemen“, mit „Tauschringen oder Regionalwährungen“ zu beschäftigen und die sich von Kretschmer erhoffte Funktion einer „geistigen Samenbank“ für die Gesellschaft zu erfüllen: „Gerade in dieser Wirtschaftskrise würde ich ein Gegenmodell oder ein Erweiterungsmodell erwarten, das zur Diskussion gestellt wird.“ (Die Welt, 13.04.09).

Diese pseudo-inhaltliche Kritik am Zentrum wurde Ende Juli von der Taz (!) wieder aufgegriffen, in der Jan Kahlcke unter dem Titel „Tote Flora“ dieser das angeblich viel lebendigere Stadtteilzentrum Centro Sociale gegenüberstellte (taz, 27.07.09). Faktisch beteiligte sich die Taz damit am öffentlichen Angriff auf das Projekt.

Anfang Oktober feierte die Rote Flora mit einem Veranstaltungsprogramm und einer großen Party ihr 20jähriges Bestehen. Kurz zuvor hatte die Hamburger Morgenpost gefragt: „Wird die `Flora´ verkauft?“ Aus gesicherten Quellen wusste sie folgendes zu berichten: „Kretschmer hat vor Kurzem intensiv Kontakt mit Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) gesucht. Ging es um das Szenario einer geplanten Räumung? Immer wieder wählte Klausmartin Kretschmer die Nummer der Innenbehörde (…), verlangte Ahlhaus zu sprechen. Doch immer wieder blieb er auf der Referenten-Ebene hängen. Ahlhaus sah keinen Gesprächsbedarf. (…) Ahlhaus äußerte sich zu Kretschmer nicht. In der Behörde wurden die Anrufe des Flora-Eigentümers aber anders gewertet. Für die Beamten war klar: Es geht um eine Räumung.“ (Mopo, 30.09.09)

In derselben Zeitung wurde einen Tag später jedoch auch berichtet, dass Kretschmer die Flora zwar ab 2011 verkaufen könne, das auf dem Gebäude aber eine „unbefristete Zweckbindung“ liege, es nämlich zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden müsse. Mitte Oktober gab es Gerüchte, Kretschmer hätte die Flora längst in einem Vorvertrag für 6,3 Mio. Euro an den Musicalproduzenten Michael Brenner verkauft – was dieser jedoch dementierte (Mopo, 13.10.09).

In einem Interview mit dem Magazin „Szene Hamburg“ sprach Kretschmer schließlich erstmals konkret über Verkauf und Räumung und drohte offen dem Senat: „Ich sage nur so viel: Herr Ahlhaus sollte sich überlegen, ob ich tatsächlich räumen oder verkaufen soll, oder ob es andere Lösungen gibt. Eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition wäre vor dem Hintergrund einer ,brennenden Flora‘ sicher kein Spaziergang mehr.“ Und: „Mir liegen drei Angebote über 15 Millionen Euro vor, obwohl der Immobilienwert bei 10 Millionen liegt. Das höchste Gebot sind 19,3 Millionen“ (zitiert nach Bild, 30.10.09)

Die Rote Flora antwortete mit einer Erklärung, in der sie Kretschmers Vorgehen jede politische Legitimität absprach: „Wir werden jeden Versuch Kretschmers, das Projekt Rote Flora anzugreifen oder gar beenden zu wollen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln politisch und praktisch verhindern. Kretschmer hat über die möglichen Folgen einer ,brennenden Flora‘ nach einer Räumung für Hamburg herum phantasiert – wir empfehlen ihm dringend, sich für diesen Fall auch Gedanken über den unversehrten Fortbestand seiner eigenen Projekte zu machen.“ (Indymedia, 05.11.09)


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Rote Flora; Klausmartin Kretschmer, zurzeit Eigentümer des Gebäudes

Kretschmer wandte sich im November an den Bezirk Altona. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärte er zusammen mit Bezirksamtsleiter Warmke-Rose, das Projekt Rote Flora sei nicht gelungen und erfülle nicht die Kriterien eines „Stadtteilzentrums“, es gehe deshalb darum, andere Nutzer zu suchen. Allerdings dementierte er, die Flora verkaufen zu wollen. Warmke-Rose wandte sich mit der Bitte um städtische Unterstützung in der Angelegenheit an die Senatorinnen v. Welck (Kultur) und Hajduk (Stadtentwicklung) – erhielt jedoch keine Antwort.

Ein Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde betonte, die formelle Zuständigkeit läge bei Besitzer und Bezirk. Während Teile der politischen Ebene sich damit zu Hilfsarbeitern des formellen Eigentümers machten, griff eine Gruppe namens „Koukoulofori“ in der Nacht zum 4. Dezember die Lerchenwache an, zündete einen Polizeiwagen an und warnte im Bekennerschreiben u.a. vor einer Räumung der Roten Flora. (Mittlerweile hat die Bundesanwaltschaft in diesem Fall die Ermittlungen übernommen und die Anklage auf „Mordversuch“ erweitert.)

In der Roten Flora selbst haben inzwischen die Planungen für eine politische Kampagne zum Erhalt des Zentrums begonnen. Eine „Autonome Gruppe für Flora-Aktivismus“ machte in einem längeren Diskussionspapier den Vorschlag für eine Kampagne, „die sich auf aktuelle Kämpfe gegen kapitalistische Standortpolitik bezieht“. Dabei wurde klargestellt: „Die militante Verteidigung wird z.B. ein wesentlicher Aspekt unmittelbar vor und nach einer Räumung sein. (…) Allen muss [aber auch] klar sein: Die Räumung der Roten Flora kann nicht militant verhindert werden, sondern lediglich politisch! Wir werden eine ,militärische‘ Auseinandersetzung immer verlieren.“

24. September 2009: "No BNQ!" - der Konflikt um das Bernhard-Nocht-Quartier

Parallel zur Hafenstraße, auf der Rückseite der legendären, ehemals besetzten Hafenstraßen-Häuser auf St. Pauli liegt die Bernhard-Nocht-Straße. Der im Film „Empire St. Pauli“ dargestellte Gentrifizierungsprozess des Stadtteils hat sich hier in einem Konflikt um einen Häuserzug exemplarisch zugespitzt. Nur eine Zahl zu den Veränderungen des Viertels: Laut taz vom 6.9.2009 kostete 1994 eine Wohnung auf St. Pauli durchschnittlich 7,70 Euro pro Quadratmeter, 2008 waren es bereits 11,40 Euro. Im Mai 2009 gelangte ein Protokoll aus einer Besprechung im Bezirksamt Hamburg-Mitte vom März an die Öffentlichkeit in St. Pauli Süd. Aus diesem Protokoll wurden die Pläne ersichtlich, zwischen der Bernhard-Nocht-Straße und der Erichstraße ein sogenanntes Bernhard-Nocht-Quartier (BNQ) zu errichten.

Dieses Quartier lehnt sich in der Planung an die Gestaltung des angrenzenden „Brauereiquartiers“ auf dem ehemaligen Astragelände an, welches durch den Film „Empire St. Pauli“ einer größeren Öffentlichkeit bekannt sein dürfte. Die Rückkehr der alten Mieter in das neue Quartier war nur nach Abschluss neuer Mietverträge vorgesehen. Zu dem Zeitpunkt, als das Protokoll an die Öffentlichkeit gelangte, waren die betroffenen Mieter_innen in keiner Form über die Pläne informiert, obwohl bereits seit etlichen Monaten geplant wurde. Unterstützt vom Aktionsnetzwerk gegen Gentrification „Es regnet Kaviar“ kam es zur Mobilisierung in der Nachbarschaft.

Ein erster Schritt nach dem Bekanntwerden der Pläne bestand darin, die Demo gegen Gentrifizierung vom 13. Juni auch durch die Bernhard-Nocht-Straße zu führen. Eine Anwohnerin sprach auf einer Zwischenkundgebung vor ca. 2000 Menschen über Umstrukturierungsplanungen. So wurde gleich zu Anfang ein starkes Zeichen gegen das BNQ gesetzt. Kurz darauf gründete sich die Interessensgemeinschaft „No BNQ“, eine bunte Mischung von (betroffenen) Anwohner_innen, Interessierten und Aktivist_innen aus der Nachbarschaft. Sie luden zu zahlreichen Versammlungen, Pressekonferenzen und machten vor allem durch ideenreiche Aktionen auf sich aufmerksam. Und sie bemühten sich von Anfang an um die Vernetzung mit anderen Initiativen in der Stadt.


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Bezirksversammlung von No BNQ am 5. September 2009 in der Bernhard-Nocht-Straße auf St. Pauli

Um die Nachbarschaft zu versammeln und eine deutliche Absage an das geplante Bernhard-Nocht-Quartier zu erteilen, wurde für den 5. September ein Straßenfest organisiert. Dieses wurde mit den Plänen eines Straßenfestes in der Hafenstraße zusammengelegt. In der Vorbereitung herrschte dabei der Konsens, dieses Straßenfest nicht bei den Behörden anzumelden. Nachdem die Anwohner_innen nie gefragt worden waren, was sie von den ganzen kommerziellen Großveranstaltungen (HarleyDays, SchlagerMove, Schiffstaufen, etc.) halten oder wie sie mit den Problemen der Gentrifizierung des Stadtteils St. Pauli klarkommen, sah niemand die Notwendigkeit ein Straßenfest anzumelden, bei dem die Anwohner_innen sich mit der Entwicklung ihres Wohnumfeldes auseinandersetzen. Die Debatte um die Anmeldung des Schanzenfestes und der Druck, der auf Anmelder_innen solcher Feste ausgeübt wird, taten ihr übriges in der Diskussion.

In der Stadtverwaltung konnte sich die Hardliner-Fraktion um Innensenator Ahlhaus scheinbar nicht durchsetzen, eine Woche vor dem mit Spannung erwarteten 2. Schanzenfest sollte wohl kein Öl ins Feuer gegossen werden. So kam es dazu, dass das zuständige Polizeirevier Davidswache verkünden ließ, dass sie statt der Innenbehörde die Federführung des Polizeieinsatzes übernehmen werden. So waren an dem Tag tatsächlich auch keine Polizeieinheiten vor Ort, nur die Nachbarschaftsfußstreife ließ sich blicken. Das Nachbarschaftsfest konnte dadurch problemlos durchgeführt werden. Das umfangreiche Musik- und Kulturprogramm wurde ebenso wie die zahlreichen Infostände, Theaterstücke und Aktionen von tausenden Menschen besucht. Bei dem Fest wurde auch öffentlich mit der Wunschproduktion von NoBNQ begonnen.

Ein zentrales Anliegen der Interessensgemeinschaft ist eine Untersuchung zu den Bedürfnissen und Wünschen der Anwohner_innen in Gang zu setzen – die sogenannte „Wunschproduktion“. Alle Interessierten wurden aufgerufen ihre Ideen, Pläne und Wünsche zu äußern. Dabei wurde auf die Erfahrungen zurückgegriffen, die in der Durchsetzung des Anwohnerprojekts Park Fiction oder auch in der „Strand für alle“-Kampagne gegen die Privatisierung der St. Pauli-Küste durch kommerzielle Beachclubs gesammelt worden waren. Die Ergebnisse der monatelangen Wunschproduktion mündeten in dem Konzept „Guten Morgen Hamburg“.

Das öffentliche Image des Bernhard-Nocht-Quartiers war deutlich angeschlagen. Die beteiligte Architektenfirma she-architekten reagierte darauf, indem sie das Projekt kurzfristig von ihrer Homepage entfernten. Anschließend wurde es auf angeblichen Wunsch der Bauherren unter neuem Namen als „Bernhard-Nocht-Terrassen“ wieder angekündigt. Allerdings ohne nähere Beschreibung, dafür mit dem Motto unterlegt „less gentrification“… Eine offensichtliche Bemühung, sich aus der Schusslinie der Kritik zu ziehen. Nachdem die Investoren Köhler & von Bargen über Monate geschwiegen hatten, sowohl gegenüber der Presse, aber vor allem gegenüber den Mieter_innen der betroffenen Häuser, waren sie medial ein wenig ins Abseits geraten. Als der Druck zu hoch wurde, kündigten sie für den 24. September eine Informationsveranstaltung für die Anwohner_innen an.

In der Schule an der Friedrichstraße wollten sie zusammen mit Politikern des Bezirks ihr überarbeitetes Konzept noch einmal vorstellen. Den Ablauf des Abends hatten sie sich wohl anders vorgestellt. Bevor die Veranstaltung losging, waren bereits über 200 Anwohner_innen vor Ort und bereiteten den Investoren einen gebührenden Empfang. Nicht nur der Eingangsbereich war von NoBNQ weithin sichtbar gestaltet worden, auch die gesamte Aula war voller Flaggen gegen das BNQ und das Podium verschwand zwischen unzähligen Sprechblasen und Schildern. Als die Investoren beginnen wollten, übernahmen die Anwohner_innen die Veranstaltung.

Statt der Powerpointpräsentation gab es Fragen von dieser Seite, denen sich das Podium stellen musste, lange Ausschweifungen seitens der Bezirkspolitiker wurden abgebrochen. „Ich rate Ihnen in aller Freundschaft, sich zurückzuziehen“, drohte ein Redner aus dem Publikum, „weil es sonst Kämpfe geben wird“ (taz, 25.09.2009). Als alle Fragen gestellt und die Ablehnung des BNQ ausreichend bekundet worden war, beendeten die Anwohner_innen die Veranstaltung, in dem sie eigenmächtig die Stühle abbauten und die Investoren alleine zurückließen.


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Informationsveranstaltung der BNQ-Investoren Köhler & von Bargen am 24. September 2009, mit zahlreichen Gästen

No BNQ gelang es, die (bis dato) geheim gehaltenen Baupläne einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und dagegen zu mobilisieren. Nicht nur das, sie gingen in die Gegenoffensive und brachten vor allem die eigenen Vorstellungen, wie sie sich selbst das Leben in der Stadt vorstellen, wieder in den Fokus der Diskussion. Im Umfeld der Initiative entsponnen sich breite Auseinandersetzungen über Formen des kollektiven Zusammenlebens, auch das Mietshäuser Syndikat kam ins Gespräch. Die Investoren gerieten dadurch stark in die Defensive und machten so auch die ersten Zugeständnisse. Sie reduzierten den Anteil der geplanten Eigentumswohnungen nach und nach und sicherten zu, dass die nötigen Reparaturen an den Häusern vorgenommen werden, alle bisherigen Mieter_innen weiter dort wohnen bleiben können und die nächsten 10 Jahre die Mieten nicht erhöht werden sollen.

Diese Zugeständnisse kamen nur durch den Druck der regen Aktivitäten von NoBNQ zu Stande, aber die Bezirkspolitik war sich nicht zu blöde, zu versuchen sich die Erfolge auf ihre Fahnen zu schreiben. Dabei musste gerade der Bezirk Mitte immer wieder durch Aktionen unter Druck gesetzt werden, damit er nicht vorschnell die Baugenehmigung erteilte. Dies konnte bei zwei Sitzungen des Bauausschusses verhindert werden, letztendlich wurde die Genehmigung im Januar 2010 aber schließlich doch erteilt. Die Presse verkaufte dies als „Kompromiss für Bernhard-Nocht-Quartier“ (taz, 20.01.2010) und betonte, dass das Verhältnis von Miet- zu Eigentumswohnungen 50:50 betragen solle und die Miete der bisherigen Bewohner_innen 10 Jahre lang stabil bleiben solle.

Parallel wollen die städtischen Behörden prüfen, ob für den größten Teil St. Paulis eine soziale Erhaltensverordnung erlassen werden soll. Die Initiative No BNQ begrüßte in einer Pressemitteilung die gemachten Zugeständnisse, erklärte aber auch: „Der Drops ist noch nicht gelutscht! (…) unser Protest ist mit der Entscheidung des Bezirksamts noch lange nicht beendet.“ Der geplante Baubeginn für das Bernhard-Nocht-Quartier wurde bereits verschoben, stattdessen suchen die Investoren nun das Gespräch. Sicher sind sie sich ihrer Pläne schon lange nicht mehr.

29. Oktober 2009: "Not In Our Name, Marke Hamburg!"

Am Donnerstag, den 29. Oktober stellten der Schauspieler Peter Lohmeyer, der Musiker Rocko Schamoni und andere ein Manifest der Öffentlichkeit vor, das den aktuellen Protesten von KünstlerInnen und „Kreativen“ gegen die Stadtentwicklungspolitik die argumentative Begründung liefern und das Thema noch einmal massiv in die Öffentlichkeit und auch auf die politische Ebene bringen sollte. Ort der Präsentation war das Gängeviertel, der Titel des Manifests Programm: „Not In Our Name, Marke Hamburg!“. Bereits in den Tagen zuvor war das Statement im Internet veröffentlicht und Unterschriften gesammelt worden.

Im Manifest wurde eine neoliberale Stadtentwicklungspolitik kritisiert, die im globalen Wettbewerb darum konkurriere, zum Ansiedlungsort der „kreativen Klasse“ zu werden. Die UnterzeichnerInnen, in erster Linie KünstlerInnen und in der „Kreativwirtschaft“ Tätige, weigerten sich, bei dieser Unterordnung städtischer Politik unter Image-Produktion und Markenpolitik mitzumachen: „Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen.“ Verweigert wurde sich im Manifest auch der Rolle der sogenannten „kreativen Klasse“ im Prozess einer „Turbo-Gentrifizierung“: nämlich städtische Räume aufzuwerten, indem sie für Ambiente, Aura und Freizeitwert sorgen, und wegziehen zu müssen, sobald die Aufwertung größere Ausmaße angenommen hat.

Stattdessen wurde die Bedeutung der sozialen Frage betont: sowohl der der KünstlerInnen, denen es zunehmend schwerer falle, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- oder Proberäume zu finden, als auch aller anderen BewohnerInnen der Stadt. Der programmatische Text schloss mit einer Solidarisierung mit den Initiativen der „Recht auf Stadt“-Bewegung und den Worten: „Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der `Wachsenden Stadt´ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein.“


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Vorstellung des Manifests im Gängeviertel am 29. Oktober 2009; Magazin „Unter Geiern“

Bis zum 30. Oktober hatten bereits mehr als 1.300 Leute das Manifest unterschrieben, u.a. so bekannte Künstler wie Jan Delay, Samy Deluxe, Fettes Brot und mit Tocotronic „auch eine der Lieblingsbands von Bürgermeister Ole von Beust“ (NDR, 29.10.09). Parallel zur Pressekonferenz erschien ein täuschend echtes Plagiat des „Hamburg Magazin“ mit dem Titel „Unter Geiern. Wie Hamburgs Politiker die Stadt verkaufen – und wo der Widerstand dagegen wächst“, das in einer Auflage von 10.000 Stück in Umlauf gebracht wurde.

Im Editorial stellten sich die anonymen PlagiatorInnen vor als „ein paar Hamburger Journalistinnen und Journalisten, Grafikerinnen und Grafiker, die es nicht mehr ertragen, das Marketingsprech vom `Wohnen am Wasser´ und der `pulsierenden Metropole´, während um uns herum die Mieten steigen, sündhaft teure Eigentumswohnungen und Büroglaspaläste aus dem Boden schießen und Grünflächen verkauft und zugebaut werden“. Auf 24 Seiten wurden die städtische Politik des „Unternehmens Hamburg“ kritisiert, verschiedene Initiativen wie das Gängeviertel oder Kein IKEA vorgestellt und die Mietenproblematik behandelt.

Auf die Vorstellung des Manifests folgte ein enormes Echo sowohl in den Medien wie in der Politik. Das Hamburger Abendblatt druckte es in seiner Samstagsausgabe im kompletten Wortlaut ab und im lokalen Fernsehsender wurde über das Thema „Hamburg: Hauptstadt der Krämerseelen oder Kulturhauptstadt?“ diskutiert. Die Kulturbehörde reagierte zunächst mit dem Verweis darauf, dass ihr Etat um sieben Prozent erhöht worden sei – Geld, das insbesondere Clubs und Stadtteilkultur zugute käme. Karl-Heinz Blumenberg vom „Hamburg Marketing“ meinte, es sei schließlich „auch im Interesse der Künstler, wenn viele Touristen in die Stadt strömen“ (Mopo, 31.10.09).

Die schärfsten Attacken auf die VertreterInnen von Not In Our Name, Marke Hamburg! (NION) kamen aus Teilen des grünen Spektrums. In der taz wurde diesen „fehlende Selbstreflexion“ vorgeworfen, nämlich darauf, als KünstlerInnen am Prozess der Gentrifizierung „so ganz unschuldig nicht“ zu sein (taz, 29.10.09), in einer pseudo-kapitalismuskritischen Polemik ging Maximilian Probst sogar so weit, den AutorInnen des Manifests das Fehlen „eine(r) handfeste(n) Kapitalismuskritik“ zu attestieren (taz, 02.11.09). Der kulturpolitische Sprecher der GAL, Farid Müller, warf den NION-MacherInnen wiederum „bornierten Kultursozialismus“ vor. Um Teile ihrer eigenen Klientel fürchtend bemühte sich die GAL-Fraktion daraufhin um Schadensbegrenzung, distanzierte sich Anfang November von Müller und betonte ihr Eintreten für „Freiräume und Subkultur“ (Hamburg1, 03.11.09).

Während die Grünen behaupteten, auch „das Problem der Gentrifizierung“ erkannt zu haben, stellten sich SPD und Linkspartei voll hinter das NION-Manifest und attackierten den Senat. Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose (SPD) forderte den Hamburger Senat auf, das Künstler-Manifest auf die Tagesordnung einer Senatssitzung zu setzen.

Anfang November meldete sich auch Bürgermeister Ole von Beust persönlich zu Wort: „von Beust bewertet das Papier inhaltlich zwar als `interessant´, aber `nicht umwerfend´. Teilweise habe es ihn amüsiert, teilweise sei es berechtigt. `Was die Bedeutung der Kunst und ihre Förderung durch die Politik betrifft, ist es mir ein bißchen zu einseitig dargestellt. Aber die Verfasser haben natürlich ihre eigenen Interessen und Ideen und das ist legitim. Aber Hamburg steht, was die Förderung der Kunst und Kultur angeht, auch im Vergleich mit anderen Städten recht gut da´, so von Beust. Grundsätzlich hätte sich der Bürgermeister gewünscht, `dass diejenigen, die das unterschrieben haben, sich vorher geäußert hätten. Ich finde, so ein Manifest ist immer sehr publikumswirksam. Aber die Glaubwürdigkeit wäre größer, wenn vorher solche Kritik in Gesprächen geäußert worden wäre.´“ (Mopo, 03.11.09).

Bevor das NION-Manifest am 4. November zum Thema in der Hamburger Bürgerschaft wurde, meldeten sich die AutorInnen in einer „Klarstellung“ noch einmal zu Wort. Sie thematisierten dabei insbesondere ihre eigene Rolle als „Kreative“ im Gentrifizierungsprozess, um klarzustellen: „Die Stadt gehört allen. Wir beanspruchen keine hervorgehobene Stellung, wir kämpfen um Freiräume nicht anders als andere Einwohnerinnen und Einwohner dieser Stadt.“ Deutlich betont wurde auch, dass es mit dem Manifest nicht um Lobby-Arbeit für die Partikularbelange von KünstlerInnen (billige Ateliers) gehe. Konkret wurden der Stopp des Moorburgtrassenbaus, ein selbstverwaltetes Gängeviertel, die Verhinderung der Ansiedlung von IKEA in Altona, ein Privatisierungsstopp öffentlicher Räume und „bezahlbare Wohnungen für alle“ gefordert.

Mitte November meldete sich die Kultursenatorin in einem Beitrag für „Die Welt“ zu Wort, um den KünstlerInnen zum einen für ihr Engagement zu danken (das Plagiat „Unter Geiern“ sei „clever gestaltet“ und „professionell produziert“, das NION-Manifest habe „kritisch bis polemisch“ bundesweit „einen Nerv getroffen), die Notwendigkeit von Räumen für Künstler zu betonen und ihren Dialogwillen zu bekräftigen. Zum anderen verteidigte sie jedoch die bisherige städtische Politik: „Für die Vermarktung der Hansestadt außerhalb ihrer Grenzen ist der Begriff der `Marke Hamburg´ gefunden worden.

Diese Markenbildung trägt dazu bei, Hamburgs Attraktivität nach außen zu tragen. Dafür werden sinnvollerweise die Aspekte herausgestellt, die Menschen und Unternehmen jenseits der Stadt interessieren. Das sind Veranstaltungen wie das Reeperbahnfestival, das Hamburg Ballett von John Neumeier oder auch die Elbphilharmonie. Ich wüsste nicht, warum die Stadt mit diesen Pfunden nicht wuchern sollte.“ Die Kultursenatorin hoffte, die Debatte um eine Instrumentalisierung der KünstlerInnen beruhe lediglich auf einem „Missverständnis“ (Die Welt, 15.11.09).

Weblinks

Webseite: http://www.rechtaufstadt.net/
Twitter: http://twitter.com/rechtaufstadt (als Hashtag bitte #rashh verwenden)

Quellen

  1. Hamburg: "Recht auf Stadt"-Bewegung, Teil 1 und Teil 2, erschienen auf Indymedia